Montag, 27. Dezember 2010

"The Kids are All Right"

„Wo komme ich her, wo gehe ich hin, und was mach ich, wenn ich da bin?“ Das ist die Frage, die der 15-jährige Laser (Josh Hutcherson) nicht nur sich, sondern auch seiner gerade 18 gewordenen Schwester Joni (Mia Wasikowska) stellt. Sie wissen zwar, dass sie beide von Samenspenden ein und desselben Mannes stammen, dessen Namen nur dem Kryo-Labor bekannt ist. Die Eltern wollen sie nicht fragen. Es ist ihnen peinlich, sie sind beide etwas verklemmt, aber besonders Laser drängt immer wieder. Er ist eben erst 15 und „darf nicht“ anrufen, aber Joni mit 18 darf und tut: ruft also eines Tages bei der Samenbank an, die ihr nach Rücksprache mit dem Spender den Namen preisgibt. Der Spender Paul (Mark Ruffalo) trifft sich mit den beiden, alles ein bisschen ungelenk aber doch sehr „cool“, wie Joni, Laser und Paul nicht müde werden, sich gegenseitig zu bestätigen. Und wie viel hast du damals dafür bekommen, für... na ja, dings...? fragt Laser. $60, sagt Paul. Laser ist enttäuscht, mehr nicht? Ach, beruhigt Paul, damals war das viel Geld, heute wären das $90. Und wie oft... ähem? "Two shots", zwei Schüsse, sagt Paul. Aha, ja ja, soso. Mehr Fragen haben die beiden erst mal nicht. Aber Paul interessiert sich für seine plötzlichen Kinder, und will wissen, was die beiden so treiben. Laser das Übliche, Base-, Basket- & Football, Joni lernt halt gern und geht nach den Sommerferien aufs College. Das erste Treffen bleibt zäh und verhalten, aber, ja ja, man kann das wiederholen, ja ja, alles cool, und „Laser, das isn richtig cooler Name“, sagt Paul, ja ja, das findet Laser auch, total cool.
Sie treffen sich wieder und irgendwann müssen die Eltern eingeweiht werden.
Die Eltern Nic (Annette Bening) und Jules (Juliette Moore) sind seit rund 20 Jahren zusammen, inzwischen ein verheiratetes Paar. Sie führen ernste und heitere Gespräche im Bett, haben sich lieb und ziehen sich zur Anregung gern mal hard core gay Pornos rein (was ich nicht so recht verstehe, weil ich immer dachte, lesbische Frauen stehen nicht so auf Penisse, aber man lernt nie aus). Sie hängen im unglamourösen Alltagslook auf dem Sofa ab, sehen fern, kabbeln sich, planen den Tag, und kümmern sich. Wie ein eingespieltes Ehepaar das eben so macht. Es geht um die Kinder. Laser treibt sich mit dem schlunzigen Clay rum, und die Eltern befürchten Schlimmes: entweder kiffen die Kids, ziehen sich Drogen rein oder sind schwul und „explorieren“. Jonis beste Freundin ist eine blöde Zicke und ein schlechter Einfluss.
Es geht zu wie in einem „ganz normalen“ Haushalt, und es ist ein normaler Haushalt. Eingespielt und mit den üblichen Ecken und Kanten. Außer, dass wenn die Kinder von den Eltern sprechen, sagen sie nicht „unsere Eltern“ sondern „our Moms“.
Jedenfalls lernen „our Moms“ den Spender-Paul kennen, der ein gut gehendes Restaurant hat und eine rassige Ab-und-zu-Freundin. Allerlei Dinge entwickeln und unentwickeln sich. Zwischen den „alright-kids“, den Moms und dem Spender-Paule. Irrungen und Wirrungen, die jeder kennt, kleine Seitensprünge, kleine Lüger- und Betrügereien. Ein bisschen überraschter, überraschender, verschwitzter und desparater Sex. Das Übliche halt.
Das alles sind die Zutaten für ein hollywoodeskes Beziehungsdrama. Aber einerseits die nicht dem Standard entsprechende Paarung der Eltern, und andererseits die flotten Dialoge machen ein Vergnügen aus dem Film. Clever, schlagfertig, amüsant.
Juliette Moore gefällt mir ja meistens. Annette Bening, ein wenig herb als alleinverdienende Ärztin, hat eine starke Szene am Abend des gemeinsamen Essens bei Paul, wo sie die schockierende Entdeckung macht, das Jules ein Heteroverhältnis mit Spender-Paul hat. Was zur erwarteten Krise führt. Deren Auflösung am Ende war okay so wie sie war. Sie hätte auch anders sein können, was sicher ein hocherhobener, traditionsgeladener Christliche-Werte-Finger in den Ärschen der Sesselfurzer gewesen wäre.
Ausnahmsweise mal ein Lob an die Untertitler! Ich hab die OmU-Version gesehen, und die waren nicht nur korrekt sondern auch Redewendungen wirklich treffend übertragen. Da kann ich nur hoffen, dass die Synchronisateure das 1 : 1 übernehmen.
Kein großes Kino, aber schönes Entertainment, eine gute Story heiter erzählt, sehr gute Darsteller, hin und wieder etwas nerviger Sound track.
Ich hab mich keine Minute gelangweilt, aber ich hab mich jede Minute gut amüsiert.

Mittwoch, 8. Dezember 2010

There's just no point hating someone you love.

Nowhere Boy
Da fang ich gleich mal mit einem „eigentlich“ an, nämlich dem, dass ich BioPics nicht so sehr mag. Und nun hab ich mich überrascht, denn ich mag diesen Film.
Vielleicht liegt es daran, dass hier eine Geschichte erzählt wird, die nicht die Karriere des Musikers John Lennon zum Thema hat, sondern einige Jahre seiner Jugend. Es hätte ein Lebensabschnitt von irgendeinem, unberühmt und unrühmlich lebenden Jungen sein können. Und es ist ein Film, bei dem ich mitten drin saß im bürgerlichen Wohnzimmer mit Leuten, wie ich sie auch kannte. Wie sie bestimmt jeder kennt.
Der junge John lebt bei Tante Mimi und Onkel George. Mimi ist fürsorglich aber sehr unterkühlt, was bei Kristin Scott Thomas irgendwie immer ganz von selbst kommt. Mit George versteht John sich prima, Mimi nervt ihn. Als Onkel George ganz plötzlich tot umfällt, ist John am Boden zerstört, er ist verletzlich, verunsichert. Mitten rein in diese Seelenpein erfährt er unvermittelt, dass seine Mutter Julia – Mimis Schwester - die ganzen Jahre nur ein paar Straßen weiter gewohnt hat. Da hat sie eine neuen Mann und zwei neue Kinder: Julia und Jackie, Johns Halbschwestern. John ist überwältigt von dieser Konstellation, aber auch bitter, weil die Mutter so nah wohnte und ihn offenbar nicht wollte, weggeben hatte, als er ein kleiner Junge war. Aber Mutter Julia freut sich wie Bolle. Endlich hat John zu ihr gefunden. Ihre Freude äußert sich auf eine merkwürdige und nicht unbedingt mütterlich scheinende Art. Sie kennen sich nicht und verhalten sich augenscheinlich mehr wie ein Liebespaar als wie Mutter und Sohn. Sie flirtet ihn an, bezirzt ihn, tanzt ihn an. Sie singt für ihn, aber sie bringt ihm auch das Banjospielen bei. Sie nimmt ihn mit zu Rock ’n Roll-Konzerten, er ist begeistert von der neuen Musik, und als er im Kino Elvis Presley sieht, weiß er, welche Musik er machen will. Er gründet eine kleine Band mit Schulkameraden, die ebenso wie er lieber die Schule schwänzen. Sie tingeln durch die angesagten Clubs ihrer Heimatstadt Liverpool. Paul McCartney war dazu gekommen, später George Harrison. In dieser Zeit kommt es zuhause zur Eskalation. Von seiner Mutter Julia will er endlich die Wahrheit über seinen Vater wissen, und warum er als Fünfjähriger bei Mimi landete, von der sie behauptet, sie habe ihr John „gestohlen“. In einer dramatischen Szene offenbaren sich die Hintergründe.
Das ist einer der berührenden Teile des Films. Die Aussprache der beiden Frauen, Johns Erkenntnis und die fast friedliche Akzeptanz. Befreit, öffnet sich Mimi und zeigt eine liebevolle, fürsorglich mütterliche Seite. Als hätte dieses show down ihre und auch Johns Zerrissenheit befriedet.
Der andere Moment, nein, es waren eigentlich drei, die in Sekundenschnelle aufeinander folgten und mir spontan die Tränen in die Augen trieben, waren Julias Unfall, die Trauerfeier, Johns kurzer Ausraster, und einer Umarmung von Paul.
Es ist kein Film über die frühen Jahre der Beatles. Paul und George scheinen quasi zufällig mit John zusammenzukommen. So, wie man sich eben zufällig in einer Schule trifft. So, wie hunderte von kleinen Bands entstehen. Es ist zufällig ein kurzer Ausschnitt über John Lennons Jugend. Eine turbulente und emotional geladene Zeit, die ihn geprägt hat. So, wie wir alle von bestimmten Perioden in unseren Leben geprägt werden. Es ist ein Film über einen pubertierenden Jungen: traurig, euphorisch, unglücklich, kämpferisch. Seine Erlebnisse und Stimmungen finden sich in seiner Musik und seinen Texten wieder. Aber wer weiß, hätte er eine glückliche, behütete Kindheit bei seiner Mutter gehabt, wäre er dann der Beatle John Lennon geworden?
Mir hat der Film gefallen. Ein kleines Familiendrama.
Ohne Melodrama.

Dienstag, 7. Dezember 2010

Vorgetäuschter Orgasmus

"Ich sehe den Mann deiner Träume" von Woody Allen
Woody und ich, wir waren wie die Tauben... ach nee, das ist ja n anderes Stück. Aber mal im Ernst: zwei New Yorker, die ihre Stadt lieben, da fühlt man sich doch verbunden. Ganz im Gegensatz zu mir kann er auch schöne Filme darüber drehen. Und wie sehr wünschte ich mir, dass er das auch weiterhin täte. Aber mich fragt ja keiner. Also unternimmt er alle paar Jahre Ausflüge ins europäische Ausland. Den Geschichten, die er erzählt, sollte das eigentlich nichts anhaben, denn sein Thema ist immer die Suche nach dem Glück, nach Liebe, nach Zufriedenheit. Da wäre es doch eigentlich egal, in welchem Kontinent sich die Geschichte entwickelt. Besonders, wo es diese Art von Irrungen und Entwirrungen überall auf der Welt gibt. Aber ich hab halt bei den europäischen Filmen immer den Eindruck, als spielten die Drehorte auch eine bedeutende Rolle. Oder ist es nur ein „Extra“, ein bisschen sightseeing und highlife für die Darsteller und die Crew? Egal. Außerdem bin ich schon so was von abgeschwiffen bevor ich überhaupt ein Wort zum Film gesagt hab. Dieser Film jedenfalls spielt in London, was allerdings hier keine Rolle spielt. Außer vielleicht für die Architektur.
Also ja, es ist schon ein echter Woody was die Thematik und die Ausführung angeht. Der Moderator stört mich etwas. Einer, der weiß, was Sache ist, warum es so ist, wie es ist, und warum die Protagonisten so handeln wie sie handeln. Hat son bisschen was von „Sendung mit der Maus.“
Es geht hier um Helena (Gemma Jones), die gerade von ihrem Mann (Anthony Hopkins – altert „schön“) nach 40 Ehejahren verlassen wurde. Er fühlt sich noch nicht alt genug für Helenas beschaulichen Lebensstil und hat ne langbeinige, blonde „Schauspielerin“ – the charming Charmaine (Lucy Punch) - aufgerissen. Die verwöhnt er nach Strich und Faden, wobei das Wort „Strich“ in dem Zusammenhang eine durchaus berechtigte Doppeldeutigkeit vermuten lässt. Er heiratet sie.
Helena ist etwas schrullig und nervt ihre Tochter Sally (Naomi Watts), die sie quasi aus Notwehr einer selbsternannten Wahrsagerin auf den Hals hetzt. Die prophezeit Helena einen „tall dark stranger“, und Helena schaut hoffnungsfroh in ihre Zukunft.
Sally hat selbst Probleme mit ihrem Mann Roy (Josh Brolin), der nach einem Erstlingserfolg seit Jahren an einem zweiten Buch rumdrukst. Ohne sichtbares Ergebnis. Sie leben von Helenas Geld, zoffen sich ohne Unterlass, und er gibt ihr die Schuld daran, dass er nicht mehr schreiben kann. Sie haben das Interesse aneinander verloren. Es ist ohne seherische Fähigkeiten vorhersehbar, dass Roy sich in eine schöne neue Nachbarin, Dia (Freida Pinto), verliebt, und Sally wirft mehr als ein Auge auf ihren neuen Boss Greg (Antonio Banderas). Hier gibt es noch einige Verwicklungen, die der armen Sally doch sehr zusetzen, und die nicht so richtig gut für sie enden.
Dass Dia sich gegen ihren Verlobten und für den windigen Roy entscheidet, überrascht wahrscheinlich nur mich. Charming Charmaine nimmt den verblendeten Alfie aus wie eine Weihnachtsgans. Während er die Minuten bis zum Eintritt der Wirkung seiner Viagra-Ration zählt, vergnügt sie sich mit feschen, jungen Kerls aus der Muckibude. Sally hat schnell eine Meinung von der Actrice: „The only acting she’s ever done is fake an orgasm“.
Von Anthony Hopkins und Naomi Watts bin ich gleichermaßen begeistert. Gemma Jones war großartig, die hatte ich lange nicht mehr gesehen, und Josh Brolin überraschte mich einmal mehr positiv.
Woodys Message: Die Suche nach dem Glück ist eine unendliche Geschichte. Auf dem Weg zum Glück begeht man einfach zu viele Dummheiten, um es je in seiner reinen Form zu erleben. Vielleicht wäre es keine schlechte Idee, mit dem glücklich zu sein, was man hat und nicht was man sich wünscht.
Obwohl der Film aus der Perspektive eines unbeteiligten Beobachters erzählt wird, habe ich mich gut unterhalten gefühlt. Ein witziges Melodram, das ein gefühlsmäßig verzwirbeltes Bildungsbürgertum in gedämpften Beigetönen mit sanfter Musik untermalt und bei dem eigentlich nur die verpeilte Helena am Ende gut wegkommt.

Mittwoch, 1. Dezember 2010

Geschwätzigkeit ist aller Kriege Anfang

„Fair game“ heißt der Film, denn ich heut Nachmittag im Metropolis Köln in der Originalfassung gesehen habe. Fair game heißt Freiwild, und bevor Valerie Plame Wilson (Naomi Watts) und Joe Wilson (Sean Penn) wirklich dazu werden, vergeht mehr als eine Stunde.
Aber gut, so ein Plot muss sich aufbauen. Das braucht halt seine Zeit.
Val Plame, Ehefrau des früheren amerikanischen Botschafters in Niger, Joe Wilson, ist eine Undercover-Agentin der CIA. Sie hat ein properes Informanten-Netzwerk in Bagdad und gibt die Resultate ihrer Auskundschaftungen auftragsgemäß ins Hauptquartier weiter. Soweit läuft alles smooth. Zuhause hat sie zwei kleine Kinder, das Eheleben läuft ebenfalls smooth, bis auf die Tatsache, dass beide Eheleute überarbeitet sind und sich zu wenig sehen. Wie so was halt so ist.
Im Fernsehen tönt Baby Bush rum, dass Saddam Hussein dabei ist, Atombomben zu basteln, man habe Beweise und nieder mit dem Bastard, der unschuldige Amerikaner umbringen will. Man schickt also Joe Wilson nach Niger, um auszukundschaften, ob es stimmt, dass Saddam dort 500 Tonnen von dem dafür benötigten Uran eingekauft haben kann. Wilson mag das nicht glauben, er kennt das Land aus seiner Botschafterzeit, fliegt hin und stellt eindeutig fest: Kein Stück! Schon rein logistisch unmöglich: Abbau und Transport – no way. Also zurück marsch-marsch, Bericht erstatten: nix is, kein Uran für Saddam. Aber der Bericht wird unter den Tisch manipuliert, und wenn Bush jr. sich mal was in den Kopf gesetzt hatte, kriegte man das auch mit vernünftigen Argumenten nicht mehr raus. Also, wird Bagdad gebombt.
Inzwischen arbeitet Valerie daran, einige ihrer irakischen Informanten und Verwandte einer befreundeten irakischen Ärztin aus Bagdad rauszuholen. Das Resultat ist bekannt, es klappt nicht, der Plan wird verraten und viele, viele Iraker, die vor Saddam fliehen wollen, sterben. Irgendjemand hat durchsickern lassen, dass sie eine Undercover-Agentin der CIA ist, und was noch schlimmer ist, es wird der Presse zugesteckt. In der ganzen Welt kann man es lesen. Ihre Deckung ist aufgeflogen. Dazu kommt noch der Vorwurf, sie hätte dahinter gesteckt, ihren Mann nach Niger zu schicken. Ab sofort sind sie „fair game“, Freiwild. Der Spießroutenlauf beginnt.
Nun beruhen diese Vorgänge ja auf Tatsachen. Valerie Plame gibt es wirklich, und sie und ihr Mann Joe Wilson sind ein Teil dieses traurigen Abschnitts der amerikanischen Historie. Daran erinnert mich nun der Film immer wieder, indem unentwegt TV-O-Töne eingespielt werden. Ganz kurz nur, vielleicht 30 Sekunden, und schwupps, zurück zur Filmstory. Auch die wird mir mit gefühlten 500 Vidclips mit Unterhaltungsfetzen, Kriegsbildern, Bombenprasseln um die Ohren gehauen. Eine Art cinematographisches Daumenkino (die oft schlunzigen und fahrigen Einstellungen sind vermutlich beabsichtigt, um eine Authentizität der Berichterstattung herzustellen). Dass mich das störte, mag auch daran liegen, dass ich mit all den blitzartig eingeblendeten Herren Regierenden und Intrigierenden namentlich nicht so vertraut bin, und vor allem auch von den Mechanismen der politischen Puzzlelei keinen Dunst hab, also der amerikanischen. Bin ja schließlich schon mit den deutschen Kasperles überfordert.
Alles in Allem ist das kein Film, den ich guten Gewissens empfehlen möchte, und ich vermute auch mal, dass er hier im Lande nicht so der Renner wird. Es sei denn, es finden sich noch mehr solche wie ich, die trotz mancher Bedenken einfach Naomi Watts und Sean Penn gerne bei der Arbeit zusehen. Und die verrichten sie wirklich famos. Watts spielt die Agentin schnörkellos, effizient und glaubhaft. Penn packt mehr Rage in seine Rolle als aufgebrachter Botschafter, der zusehen muss, wie ein unfähiger Präsident einen Krieg anzettelt und sorglose Bürokraten seine Karriere und die seiner Frau ruinieren. Und dass diese Situation der Ehe nicht gut tut, liegt auch auf der Hand.
Nun ist der Ausbruch des Irak-Kriegs gute acht Jahre her. Die Aufdeckung dieser Intrige ist auch nicht neu. Gut, sage ich, dass alles ans Tageslicht kam. Das meiste davon ist tatsächlich so geschehen, einiges ist Fiktion. Unterm Strich kann mir das ja egal sein. Aktuell erinnert mich das an den Hype, der grad durch Wikileaks ins Rollen gebracht wurde. Da nicken wir alle weise mit unseren Häuptern und hatten es doch schon immer gewusst, dass alle Politiker verlogen, verblödet und korrupt sind, und dass auch in diesen Kreisen geklatscht und getratscht und gelästert wird wie in den guten alten Kaffeekränzchen.
Nichts anderes als das lose Mundwerk eines Regierungsbeamten hat letztendlich diese Tragödie erst möglich gemacht. Und sicher viele andere davor und danach.
Wär vielleicht gar nicht so schlecht, den Slogan des 2. Weltkriegs wieder auszugraben:
„Loose lips sink ships.“
PS: Drei bis vier goldene Sterne für Watts und Penn.

Freitag, 12. November 2010

Somewhere

Normalerweise aktivieren Aussagen wie: „Ein leiser, kleiner Film“ sofort meine Würgereflexe. Hier nicht. Und dieser Sofia Coppola-Film IST ein leiser Film. Es wird wenig gesprochen. Und auch wenig gesagt. Es wird so vor sich hin gelebt ohne Ziel, ohne Zweck und ohne erkennbaren Sinn.
Da sind also Johnny Marco (Steven Dorff), ein angesagter Hollywood Beau und einige Menschen, die sein leeres Leben zeitweise bevölkern. Sein Apartment im Hotel Marmont ist eine Art Durchgangsbahnhof. Die Menschen, die er kennt, die ihn kennen – beruflich – kommen und gehen, manchmal sagen sie was, es ist bedeutungslos. Johnnys Leben ist bedeutungslos. Man sieht ihm zu, wie er mit seinem schicken Ferrari im californischen Hinterland mit viel Getöse seine Runden dreht. Man sieht ihm zu, wie er sich damit beschäftigt, vor dem Fernseher zu sitzen und fernzusehen. Wie er sich damit beschäftigt, über den Darbietungen von Pole Dancers, Call Girls und Zufallsbekanntschaften einzuschlafen. Es sieht aus, als schliefe er ein, als man von seinem Gesicht einen Gipsabdruck macht. Die Kamera hält reglos auf seinen gipsvermatschten Kopf. Er ist gefangen, eingemauert, in bedrückender Einsamkeit.
Hier und da trifft er sich mit seinem Stab, die erzählen ihm, wo er hin muss, was er sagen muss, alles kurz und ruhig, und weg ist er wieder. Kein bisschen Hektik.
An einem dieser ereignislosen Tage ist seine elfjährige Tochter Cleo willkommener Besuch. Zum ersten Mal merkt man, dass er sich wirklich für etwas, für jemanden interessiert. Er sitzt hinter der Bande und sieht zu, wie Cleo elegante Figuren auf das Eis kratzt. Man erkennt, dass er sich auf sie einlässt, sich mit ihr beschäftigt, und dass ihm die gähnende Leere seines Alltags eins auf die Zwölf gibt. Die väterlichen Besuchstage weiten sich plötzlich aus, als seine geschiedene Frau Layla das Kind eines Tages bei ihm abstellt und „auf ungewisse Zeit“ verschwindet. Sie „muss mal weg“, sie weiß nicht, wann sie wiederkommt.
Also bindet Johnny Cleo ohne sichtbare oder spürbare Aufregung in sein Leben ein, das dadurch plötzlich Inhalt bekommt. Auch auf der Reise zur italienischen Preisverleihung ist sie dabei. Alles läuft smooth. Sie haben eine gute Zeit miteinander, sie mögen sich. Cleo macht alles mit, Cleo ist cool. Nur einmal bricht ein Tränenschwall aus ihrem kleinen Kindergesicht. Sie vermisst die Mutter und hat Angst, dass sie vielleicht nie wiederkommt.
Cleo wird gespielt von Elle Fanning, der kleinen Schwester von Dakota Fanning aus „I am Sam“. Ein sanftes Kind, ein begabtes Kind. Steven Dorf als Johnny Marco ist mir bisher noch nie aufgefallen, und das gleiche gilt für die Schauspielerin, die Cleos Mutter Layla spielte, deren Namen ich nicht mitbekommen habe.
„Somewhere“ ist kein Film mit besonderen Höhen und Tiefen. Ach doch, vielleicht mit einer Tiefe. Mit dem tiefen Abgrund der Einsamkeit. Er ist auch ein bisschen biografisch. Ich kann mir vorstellen, dass Sofia Coppola - als Tochter des Regisseurs Francis Ford - das Hollywoodleben mit seinem Glitz and Glam von Kindesbeinen an kennt.
Der Film erinnert natürlich an „Lost in Translation“. Einsamkeit auch hier. Das könnte das Thema der Frau Coppola werden. Mir gefällt, wie sie das in Bilder verwandelt. Eindringlich.
Wer Action, Humor, Liebe, Lust und Leidenschaft erwartet, sollte nicht hingehen.
Und sobald das Röhren des Ferrari-Motors verendet, ist es wirklich ein leiser Film.

Sonntag, 31. Oktober 2010

Gainsbourg - ein heldisches Leben

Ein Film, den ich mochte. Die Geschichte ist schön erzählt, anschaulich – na gut, muss ja, ist ja Kino. Mir gefällt hier ganz ausdrücklich der Mix von straight Kino und Animation, obwohl ich freiwillig in keinen Animationsfilm gehe.
Als ich noch mitten im Schwärmalter war, kam Gainsbourg grad recht als Objekt meiner Begierde. Nicht nur so schön hässlich, sondern auch skandalös. A bad boy! Weibergeschichten mit dem „who-is-who“ im französischen Show-Zirkus.
Über den Mann Gainsbourg oder seinen Werdegang wusste ich nichts. Heute erfuhr ich etwas über das, was ihn ausmachte, und vielleicht ein bisschen davon, warum er so war wie er war. Sein Leben wird in Episoden erzählt, in denen eine aufgeplusterte Fratze als unsichtbarer Schatten seine Kindheit begleitet, und ein rabenvogelartiger Spinnenmensch mit überdimensionierter Nase und elefantösen Ohren das alter ego seines Erwachsenen-Daseins darstellt. Ein tollkühner „Harvey“, den er Gainsbarre nennt, und der ihm ordentlich Feuer unter dem Hintern macht und zum Draufgängertum anstachelt.
Als Sohn russischer Immigranten lebt er in Paris, muss unter der strengen Aufsicht des Vaters Klavier spielen lernen und sich außerdem vor den Nazis im Wald verstecken. Dass er ein lockeres Mundwerk hat, beweist er früh, als er zur Verteilersteller der deutschen Besatzer geht, um sich als erster seinen Davidsstern abzuholen. Er bietet seine „Beziehungen“ an, um „die Karriere“ eines der Offiziere zu „fördern“.
Er raucht, er säuft, er stellt den Frauen nach. Er schreibt Musik, er ist der Piano man in Bars. Und er malt. Er ist unauffällig verheiratet. Er trifft und liebt Juillette Greco, France Gall, Brigitte Bardot und manche andere. Er heiratet in zweiter oder dritter Ehe Jane Berkin, singt mit ihr das berühmte, und seinerzeit skandalöse „Je t’aime“, das er ursprünglich mal für BB geschrieben und auch mit ihr gesungen hatte. Die wollte aber nicht, dass Gainsbourg das veröffentlichte, denn sie war damals mit Gunther Sachs verheiratet und eine rücksichtsvolle Ehefrau. Also ziemlich rücksichtsvoll, son bisschen rumbubeln mit dem wilden Serge ging ja wohl immer. Auch die Ehe mit Jane geht nicht gut. Sie trennen sich und dann trifft er eines nachts versoffen in einer Bar eine gewisse Bambou, mit der er dann im Weiteren auch verheiratet ist und ein Kind hat.
Der junge Serge wird von einem total unniedlichen und unbekannten Jungen (Kacey Mottet Klein) wunderbar gespielt. Es gefällt mir gut, dass man immer öfter davon absieht, fotogene Zauberkinder vor die Kamera zu zerren. Es gibt wunderbare Musikszenen, und eine gewisse Coco, die dann nicht weiter erwähnt wird, mit der er in einer Kneipe singt, sieht aus, wie ich immer dachte, dass Liz Taylor im Alter aussehen würde, was sie nicht tat. Das mal nur nebenbei.
Für mich ein absolutes highlight war der kurze Auftritt von Joann Sfar, dem Regisseur, als George Brassens, einem Sänger, dessen Musik ich sehr liebe.
Laetitia Casta als Brigitte Bardot gefiel mir gut, Lucy Gordon als Jane Birkin war mir eine Spur zu farblos. (Die Schauspielerin Gordon hat sich im vorigen Jahr das Leben genommen.)
Eric Elmosnino, der den Gainsbourg spielte, war sehr treffend gecastet und einfach großartig.
Der Originaltitel „Gainsbourg – vie héroique“ bedeutet wörtlich „Gainsbourg - heldenhaftes Leben“. Stattdessen in Deutschland wieder so ein Lullititel: „Der Mann, der die Frauen liebte“ blablabla... hätte auch von SAT1 sein können.
Aber dem Film tut’s keinen Abbruch. Eine gut umgesetzte Musiker-Biografie, die der Joann Sfar da erzählt hat. Zwei Stunden sehr schöne Unterhaltung. Hat mir gefallen – vier Daumen hoch.

Donnerstag, 14. Oktober 2010

Körperteile

Eines meiner Lieblingsthemen in den letzten Jahren ist die Entsorgung sterblicher Überreste. Hauptsächlich meiner. Über andere habe ich ja nicht zu entscheiden. Aber selbst wenn ich da gewisse Vorkehrung treffe und die per Patientenverfügung für die Nachwelt hinterlasse – eine Garantie, dass es so gemacht werden wird, gibt es nicht.
Das liegt vor allem an den Bedenkenträgern, den Ethikern, den Klerikern, den Juristen. Und auch an Oma Krause und Tante Käte, die son Schweinkram von vorne herein ablehnen. Besonders, wenn es sich um meine Oma Krause und Tante Käte handelt. Das ist hypothetisch jetzt. Oma und Tante weilen nicht mehr unter den Lebenden, aber ich weiß, dass sie strikt gegen solche „Abartigkeit“ waren.
Die Bedenken kann auch ich nicht so einfach vom Tisch zu wischen, denn wer möchte schon auf einer Metallplatte wach werden und feststellen, dass plötzlich lebensnotwendige Sachen fehlen. Die Augen, die Lungen oder gar das Herz. Gut, in dem Falle würde man nicht mehr aufwachen. Aber ohne die anderen Innereien könnte man erst mal wieder wach werden.
Was für ein Horrorszenario: Die Ärzte könnten sich geirrt haben. Ein überarbeiteter Notarzt zum Beispiel, der schon seit 20 Stunden Dienst schiebt, erklärt dich für tot, die Dokumente sind ausgefüllt. Du bist amtlich mausetot. Du hast einen Organspenderausweis. Du standest zur Zeit deines Ablebens voll im Saft. Alle Organe funktionierten. Und als du den Organspenderausweis unterschrieben hast, dachtest du doch nie im Leben daran, dass man dich so bald deiner Ersatzteile erleichtern würde.
Da liegst du also dann auf dem Tisch. Die Nieren sind weg. Für den Rest hatte man noch keine Zeit. Aber die Nieren sitzen schon in einem anderen Körper. Was nun? Dem anderen kann man sie schlecht wieder wegnehmen. Also kommst du an Schläuche. Und das ist doch genau das, was du nie wolltest. Deshalb hattest du eine umfangreiche Patientenverfügung unterschrieben. Und was dann? Wartest du auf neue Nieren, für die dann auch erst wieder einer sterben muß. Und hoffentlich sind es dann auch frische Nieren, und nicht alte Schrumpelnieren von einem Seniorenheimbewohner.
Das geht doch nicht?
Und wie das geht. Es gibt nämlich keine Altersbegrenzung im Organspendenwesen. Die Ärzte sprechen Empfehlungen aus, wenn sie den Patienten beim Ausfüllen der Papiere helfen. Beziehungsweise, raten gleich davon ab, wenn der Gesamtzustand des Spenders schon fortgeschrittenen Verfall der inneren Organe andeutet. Hilft ja keinem, wenn da einer seine verfettete Leber oder seine verquarzten Lungen spenden will. Außer Augen. Augen gehen immer, auch von ganz alten Greisen. Vorausgesetzt, sie sind nicht vom grünen Star befallen oder blind. Die Innenohrknöchelchen von betagten Menschen sind auch noch verwertbar. Immer vorausgesetzt, sie funktionieren noch, anders wär ja blöd.
All die anderen Sachen: Herz, Lunge, Leber, Nieren von Menschen weit über 70 sind einfach nicht mehr verwertbar. Auch die Gebärmütter von Fifty-Somethings scheiden aus. Da ist das Verwertbarkeitsdatum deutlich überschritten.
Eine allgemeingültige Grenze nach oben gibt es offiziell nicht. Hier endlich findet die Volksweisheit : “Man ist so alt wie man sich fühlt“ mal die passende und würdige Anwendung. Und die Ärzte bestätigen: das biologische Alter spielt eine wichtige Rolle. Nur weil ein Mensch 70 ist, muss das nicht bedeuten, dass seine Organe nicht mehr verwertbar sind. Und wenn es auch nur für kurze Zeit ist, eine Übergangslösung, bis für den Empfänger ein jüngeres, besseres Ersatzeil zur Verfügung steht.
Außerdem werden inzwischen nicht nur die üblichen Verdächtigen, also Herz, Lunge, Leber und Nieren transplantiert, sondern auch Darmstrecken, Milzen, Hände, Füße und ganze Gesichter. Augen und Ohrteile erwähnte ich schon. Im Grunde könnte man ganze Menschen verpflanzen. Im Umkehrschluss hieße das doch auch, dass man dem alten Menschen alle paar Jahre ein paar frische Organe einpflanzen könnte, und schwupps, der Opa könnte glatt seine Enkel überleben. Oder er ist ein bedeutender Künstler, Autor, Forscher oder sonst was ganz Wichtiges und sollte der Menschheit erhalten bleiben. Müsste doch gehen. Wo man inzwischen Menschen einfrieren kann. Das ewige Leben - alles für die Forschung.
Ob Christian Barnard überrascht war von der Entwicklung der Transplantation, nachdem er 1967 das erste Herz verpflanzte? Der Empfänger lebte dann nur 18 Tage, aber allein, dass er überhaupt überlebte, war doch ein Wunder. Diesem Thema werde ich gesondert nachgehen.
Ich jedenfalls habe trotz der einen oder anderen Bedenken einen Organspenderausweis. Aber im Notfall könnte ich den auch vorher noch ganz schnell aufessen.

Samstag, 18. September 2010

Das Wort zum Sonntag

und das spricht für sich selbst:

Meine kleine Retro-Show

Es ist ja nicht so, als hätt ich nix zu tun: ich hab Stapel, die mich bis Neujahr oder Ostern 24/7 in Atem halten werden.
Aber heute brauchte ich dringend eine Sicherheitsnadel... ich möchte da nicht weiter drüber sprechen. Gefunden hab ich alles, was etwas größer war. Dabei brach dann plötzlich ein sehr heftiger Nostalgieschub aus, und der ist noch nicht vorbei. Ich fand dieses (Jg. 1984), funzt noch, und die tapes, die dabei lagen, ja, die auch.



Danach fand ich dann das, von noch früher:


und das hab ich live gesehen, möglicherweise das erste public viewing im JFK-Airport!
Darunter lagen diese zwei Hefte:





da sahen wir alle so aus:


und trugen sowas:



Die gabs damals schon in the US of A:



Das hier alles war NEW and HOT in den Siebzigern!



das auch! Das wollte JEDER!






Kennt Ihr die noch? O.J., Dolly Parton, Farrah Fawcett, etc...?



Hätte noch etwa ein Dutzend mehr, aber was ich nicht hab, ist die Zeit dafür. Vielleicht beim nächsten Nostalgie-Schub. So in dreißig Jahren etwa.
Ach, bis dahin ist das Internet überholt, oder tot. Und ich erst recht!
Bis dahin, liebe Nachwelt, habt Spaß.

Mittwoch, 1. September 2010

Eier von katholischen Nonnen

Normalerweise würde hier jetzt eine muntere kleine Besprechung des Films "Mary & Max" stehen. Aber es gibt schon so viele, und zum Inhalt könnte ich jetzt gar nichts Neues mehr beitragen.
Stattdessen geb ich gern ein paar Randnotizen, Textbröckchen, Bildchen, zum Besten, weil sie dem Film den kleinen Extrakick geben.
Dass es keinerlei Dialoge in dem Film gibt, dessen Darsteller alle aus Ton geformt sind, hat mich am Anfang etwas gestört, aber an den Moderator hatte ich mich schnell gewöhnt. Allerdings wünschte ich mir, ich hätte die Originalversion gesehen, weil ich nur zu gern die Stimmen von Philip Seymour Hoffmann und Toni Colette gehört hätte, wie sie die Briefe vorlasen.
Denn so wird die Geschichte transportiert: durch das Verlesen von Briefen, gleichzeitig von den Knetfigürchen bespielt.
"Mary & Max", die ungleichen und doch so ähnlichen Brieffreunde – sie – jung - in Australien, er – alt - in New York – erzählen und tauschen aus, was ihnen so Alltägliches und Außergewöhnliches passiert. Sie plätschert ganz harmlos dahin, diese Korrespondenz, und dann entdecke ich immer wieder liebevolle kleine Seitenhiebe, Original-Quotes, Hinweise auf Schauspieler, Regisseure und Schnipsel aus dem wirklichen und echten Filmschaffen.
Die Knetmasse macht es möglich, die unverkennbaren Züge der Gesichter von Woody Allen, Alfred Hitchcock und John Travolta in Nebenfiguren zu karrikieren.
Szenen, die mir vom „richtigen“ Kino in Erinnerung blieben, hier seh ich sie wieder: die Fotowand aus „One Hour Photo“ besteht hier nun aus Briefen, die Mary an Max schickte... kurz eingeblendet: „Katz Delicatessen“... ein bisschen „Stadtneurotiker“-Feeling.... ein bisschen „Peanuts“-Feeling. Und als später Marys hübscher Ehemann Damien mit der Schmachtlocke sich in einen Schäfer auf Neuseeland verliebt und sie verlässt, da weiß ich doch: „Brokeback Mountain“ lässt grüßen.
Max und Mary stellen und beantworten gewissenhaft alle Fragen, und ich bin gar nicht überrascht, als Max eine Erklärung bereit hat für Marys Anliegen: „Wo kommen die Babys wirklich her, meine Mama sagt, sie steigen aus Biergläsern auf“ da antwortet er: „ In Amerika werden die Babys nicht in Cola-Dosen gefunden. Ich hab meine Mutter mal gefragt, als ich vier war, und sie sagte, Babys schlüpfen aus Eiern, die von Rabbis gelegt werden. Wenn du nicht jüdisch bist, werden sie von katholischen Nonnen gelegt. Wenn du Atheist bist, von dreckigen, einsamen Prostituierten.“
Mary fragt auch Sachen wie: „Schrumpfen Schafe wenn es regnet? – Bekommen Gänse auch Gänsehaut? Kann ein Fisch unter Wasser rauchen?“ Und Max weiß: „Fische rauchen nicht unter Wasser, denn sie haben gar keine Taschen für die Feuerzeuge“. So isses doch.
Als passionierte Worterfinderin, die ich bin, ist Max bei mir genau richtig mit Kreationen wie „confuzzled“ denn es merkt doch wohl jeder, dass er „confused“ und „puzzled“ endlich vereint hat, und „snow“ und „dirt“ konnte er kaum besser einschmelzen als auf „snirt“ .
Und dann hat mir noch gefallen, dass diese Figuren nicht niedlich sind, nicht überschön. Ihre Hässlichkeit gehört zum Thema, ist Thema. Und die Hässlichkeit der Habitate ebenfalls. Mary und Max sind unter all den Katastrophen doch irgendwie innen schön.
Ach ja, es ist gar kein Kinderfilm, wie ich dachte, als ich noch etwas zögerlich das „Cinenova“ in Köln-Ehrenfeld betrat. Geht ruhig hin, unterhaltsame 92 Minuten.
Vom Inhalt wollte ich nichts erzählen, und vom Ende erst recht nicht. Ein Schlusswort hab ich dann doch, es stammt vom Stein auf dem Grab von Marys Mutter, der Säuferin Vera:
„Always merry
killed by Sherry“

Dienstag, 24. August 2010

Vollmond-Kino

Kino ist nicht das Leben. Es tut nur so. Und ganz manchmal ist es wirklich so. Heute Abend ist wieder Vollmond. Da kommen besonders viele Irre raus, sagt man. Aus erster Hand bestätigen kann ich das nicht, aber meine Sicht der Dinge ist in dieser Beziehung vielleicht auch etwas unscharf. Jedenfalls wäre so eine Vollmondnacht ein Anlass, sich mal wieder „Shining“ reinzuziehen, oder „“Einer flog übers Kuckucksnest“. Aber nein, ich nehm mir den amerikanischen Film „Girl, interrupted“ vor, der in Deutschland den marktschreierischen BILD-übertrifft-SAT1-Aufmacher-Titel „Durchgeknallt“ trägt. Da geht es um Momentaufnahmen, die dem Tagebuch von Susanna Kaysen (Winona Ryder) entstammen, die zu diesem Zeitpunkt, Ende der Sechziger, gerade ihren Highschool Abschluss gemacht hatte. Statt über ihre Zukunft rumzugrübeln, mixt sie sich einen eins-zu-eins Beinahe-Killer-Cocktail aus einer Flasche Aspirin und einer Flasche Vodka. Wer so was macht, kann ja nur verrückt sein, und die fürsorglichen Eltern erreichen durch freundliche Überredung und sanften Druck, dass sich Tochter Susanna selbst in eine psychiatrische Klinik einweist. Keine der staatlichen Verwahranstalten, wo nicht therapiert wird, und wo die Insassen verwaltet und gefüttert werden. Nein, Claymoore ist schon eher ein Ponyhof. Das heißt nicht, dass die anderen Insassen nicht veritable Irre sind. Das sind sie auf alle Fälle, gut sortiert in allen Erscheinungsformen. Da ist für jeden was dabei. Susanna wird offiziell mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Die gütige Schwester Valerie (Whoopie Goldberg, mit Hammer-Afro) hat alles und Alle im Griff, und sie bescheinigt Susanna die Faulheit und Zügellosigkeit eines kleinen Mädchens, das sich nur selbst in den Wahnsinn treibt. „Schlag hier keine Wurzeln“ sagt sie ihr.
Nurse Valerie hat alles gesehen und weiß, dass man schnell in den institutionalen Mühlen zerdengelt wird, denn dieses Getriebe läuft wie geschmiert.
Aber erst mal fühlt Susanna sich gut aufgehoben in Claymoore. Täglich kritzelt sie Notizen in ihr Tagebuch über die anderen Bewohner. Das Brandopfer Polly (gespielt von der damals 17-jährigen Elisabeth Moss, die später eine der Hauptrollen in der Serie „Mad Men“ hatte), die schwerst verwirrte und misshandelte Daisy (Brittany Murphy, die vor knapp einem Jahr starb), die Hähnchenreste aus der Bräterei ihres übergriffigen Vaters unterm Bett und im Schrank versteckt. Und da ist die wirklich total durchgeknallte Lisa (Angelina Jolie), die ihre Diagnose: „criminally insane“ wie eine Monstranz vor sich her schaukelt und immer frontal auf Crash Kurs operiert. Lisa gibt die coole Sau, aber man ahnt schon die innere Zerrissenheit, ihre Wunden. Sie ist obercool, scheint sogar kalt und gefühllos, und auf der Beliebtheitsskala der anderen verhaltenstechnisch geforderten Bewohner rangiert sie sehr weit unten. Unterhalb von unten.
Ich sag’s gleich, Jolie hat für diese Rolle einen Oscar für „best supporting actress“ bekommen, und ich hab mich die ganze zeit gefragt, warum. Die meiste Zeit schaut sie finster und mürrisch, wirft ihren wundenlippigen Mund über die untere Gesichtspartie und lässt verbale Hässlichkeiten rausquellen. Sie sieht viel zu alt, grau und abgewrackt aus für diese junge Frau, die sie darstellen soll. Ryder kuckt eher wie ein verstörtes aber kluges Rehkitz, die anderen halt wie die ganz normalen Nachbarschaftsirren. Manche sagen, Ryder hätte den Oscar für die beste Hauptrolle bekommen sollen. Ich sag das nicht. Eigentlich hätte ihn in diesem Film niemand bekommen müssen.
Die Geschichte wird in Episoden erzählt, und das ist ja auch nicht abwegig, denn er ist nach einem echten Tagebuch von der echten Susanna Kaysen inszeniert und umgesetzt worden, und da ist nichts gegen einzuwenden. Durch Verkettung mehrerer Schocker-Events dramatiert er etwas zäh dahin. Von einem Hype zum anderen. Es wird gevögelt, geschockt, gehauen, geselbstmordet. Wie im richtigen Leben. Auch das passt zur Thematik, und der Film ist ja auch als Drama angelegt. Das Blöde ist, dass es dann am Ende nur noch Melodram ist. Und auch darüber darf ich nicht meckern, denn wenn die richtige, echte und einzig wahre Susanna Kaysen das so erlebt hat, dann musste es so sein. Schließlich ist das ihr Leben, sie hat’s so erlebt, und sie wollte das so. Es ist dann die Aufgabe eines Regisseurs (James Mangold), da etwas mehr Farbe und Kontinuität reinzubringen.
Was mich gegen den Strich gebürstet hat, war, dass man ja immer wusste, dass Susanna eben nicht verrückt war. Dass sie sich aufgrund ihrer gegenwärtigen Lebensumstände in Claymoore wohl fühlte, und dass sie die Irrizität der anderen Bewohner zu ihrer Normalität machte.
Ihre Ambivalenz ist ihr großes Thema, und die Hauspsychiaterin Dr. Wick (Vanessa Redgrave, großartig wie immer, sie kann gar nicht anders) argumentiert sanft aber gerne nicht nur zu diesem Thema, auch zu Susannas Promiskuität, zum Sex allgemein und im Besonderen. Sie rückt ihr den vermeintlich irren Kopf grade.
Susanna wendet sich letztendlich auch von ihrem Freund Toby (Jared Leto) ab, der dem Ruf der Army mit der Flucht nach Kanada entkommen will. Zusammen mit Susanna. Aber Susanna will nicht mehr. Sie würde wohl gerne in Claymoore vor Anker gehen, wovor ja die gütige Valerie von Anfang an gewarnt hatte. Nur ein kleines bisschen irre zu sein in so einer Einrichtung lässt sich aushalten: Unter den Blinden ist der Einäugige König.
Das Ende ist nicht wirklich happy, aber auch nicht direkt niederschmetternd. Es ist ein „so isses eben“ Ende.
Für mich wär etwas weniger Melo und mehr Dram befriedigender gewesen und etwas mehr plot hätte auch sein dürfen. Aber um meine Wünsche geht’s hier nicht, und auf mich hört eh keiner.
„Girl, interrupted“ war kein Kassenerfolg und verschwand auch bald in der Versenkung. Vielleicht zu Recht.
Das alles hindert mich aber nicht daran, den Film ziemlich spannend zu finden. Und irgendwann während der letzten 20 Minuten, lief Jolie noch zu Hochform auf. Da gibt ein show-down zwischen Susanna und Lisa, und das ist für mich „the saving grace“ des Films. Das hab ich dann auch zwei- dreimal zurückgespult zum nachkucken, -hören und –sehen, und für ein paar Minuten dachte ich, ja, da kann man schon einen Oscar zumindest in Erwägung ziehen.
Ob das alles nun schlüssig war oder nicht, etwas schlaff im Abgang war „Girl, interrupted“ leider doch. Da hat Mr. Mangold vielleicht das „interrupted“ bei der Inszenierung etwas zu wörtlich genommen.
Aber ansehen kann man sich den Film trotzdem. Gute Besetzung und durchweg gut gespielt.
Und so ein bisschen Irrizität zum Vollmond, warum eigentlich nicht?

Freitag, 23. Juli 2010

Sommerlochfilme

long time no movie.
Ach doch, den einen oder anderen Film hab ich gesehen. Und danach bereut, Geld dafür ausgegeben zu haben.
Darum will ich mir wenigstens die Worte darüber sparen. Die brauch ich dann für später, wenn das Sommerloch vorbei ist. Es herrscht ja allgemeine Verknappung von allem. Ich muss haushalten.
Wer denkt sich den Müll eigentlich aus? Wer verplempert diese Moneten? Gibt es einen Plan, der da heißt: "...und nun produzieren wir für das Sommerloch... das Geld ist gedruckt und muss ausgegeben werden"?
Bis denne mal wieder, wenn die Filme, die ich sehen will, endlich in meinem kleinen Programmkino gelandet sind. Zu Tageszeiten, die nicht mit der Sonneneinstrahlung kollidieren, andererseits das umherirren in unsäglichen Nachtjackenvierteln nicht ganz unmöglich machen.
Grüße aus dem Nitchewo.

Montag, 17. Mai 2010

"Masserberg"

Mel ist schön. Mel ist lieb. Mel ist wild. Vor allen Dingen jung und unangepasst. Und krank. Eine schwere Augenkrankheit hat sie in die Einöde von Masserberg verschlagen, wo sich die Klinik befindet, die sich zur verblühenden Blütezeit der DDR als angesagte Adresse für Augenleiden aller Art empfahl.
Mel ist der Sonnenschein der überwiegend alten Patientinnen, mit denen sie ein Mehrbettzimmer teilt. Sie lassen sich gern von der jungen Mel rumscheuchen und aufmuntern. Mel verkörpert Lebensmut und Durchhaltevermögen, freche Kodderschnauze und liebevolle Zuwendung.
Mel hat Fluchtpläne, rübermachen in den Westen, einen Freund, der die Lage ausbaldowert.
Mel verliebt sich in den neuen Klinikarzt, Dr. Sanchez. Sie will haben, was sie haben will und fühlen, was sie fühlen will. Hier kommt die aufmüpfige Mel zum Vorschein, die sich nicht abfinden will. Mit Nichts. Und außerdem kann sie etwas, das für eine so junge Frau ungewöhnlich ist, mitfühlen.
Sie redet der sterbenden Einauge nicht ein, dass alles noch gut werden wird, sondern sie beschafft ihr das geliebte Mandelöl, das sie an ihre „Beinah-Geliebte, Marlene Dietrich“ erinnert. Da ist Betty, die von der Brüstung der Terrasse springen will, die sie ins Leben zurück umarmt. Und als Betty abgeholt und „in die Klapse“ gebracht wird, merkt Mel, dass es vielleicht besser gewesen wäre, sie springen zu lassen. Das ist ein Bild, das mein Herz zerreißt und Tränen in die Augen treibt.
„Was schlimmer ist, als blind zu sein? Blind und einsam zu sein.“ Das ist das Damoklesschwert, das auch über Mel hängt. Das sie vergessen kann, wenn sie sich mit Carlos im Wald trifft. Dieser etwas sperrige, aber zu hübsche Dr. Sanchez, der sich nicht verlieben will, der zu Hause eine Tinka hat, seine blasse aber ehrgeizige Ehefrau, der er sich auch schon mal verweigert. Sie will ein Kind, und sie kriegt es auch. Er macht ihr eins en passant in der Küche.
Nicht direkt unstimmig, aber etwas arg plakativ wird es, als quasi simultan Tinka ihrer Fehlgeburt und Mel mit Carlos im Wald auf ihren Orgasmus zusteuern. Zurückhaltende Unterwasser-Sphärenmusik liegt über beiden Szenarien, und nur eine split-screen Darstellung hätte den Impact überhöhen können.
Die beiden hochdramatischen Momente, die Mel an den Rand ihres Überlebenswillens treiben, werden durch das Lied „Ohne dich“ begleitet. Mels Gefühlschaos von Rammstein untermalt.
Das Schicksal schlägt von allen Seiten ein. Dramagesättigt, der Film "Masserberg", dafür aber auch pralle und kurzweilige Unterhaltung.
Anna Fischer ist eine glaubhafte Mel, rebellisch und zärtlich, tough und weich, aber vor allem durchgeknallt und von ungeheurer Präsenz. All or nothing at all.
Der schöne Dr. Sanchez, Carlos, er ist mir zu glatt und zu schön. Da hatte sich doch der kleine, grünliche Kubaner aus dem Buch tief in mein Hirn eingegraben. Ich glaube, das hätte dem Film den besonderen Kick gegeben: die schöne junge Mel liebt den grünlichen kubanischen Arzt.
Masserberg“ sehe ich nicht als einen der Dennoch-Ostalgiefilme, die eine zeitlang aus allen Ecken quollen: Kuckt mal, wir hatten nix, aber davon satt. Er hat allerdings so ziemlich die ganze Palette Ost-Content, die bei Filmen, die in der DDR spielen, beinahe Pflicht sind: Spitzel, Blockwarte, Maulwürfe, Linientreue, Revoluzzer, Angepasste und Unangepasste. Dass es so ist, muss man erwarten, wenn es um eine Story geht, die in der DDR spielt. Aber die Geschichte hätte überall so ablaufen können. Und hier war die DDR und die Klinik in Masserberg die Kulisse. Und die Verhältnisse die Stichwortgeber. Ein absolutes highlight dann Mels abgefahrene modische statements.
Die Schauspieler gefallen mir. Beinah ohne Ausnahme. Schön zu sehen, dass es eine deutsche Produktion mit soviel Schicksals-Inhalt gibt, die ohne die üblichen Tragikerinnen Ferres, Elsner, Schönbauer und Berben auskommt. Schöne alte Frauen, die gute Maria Simon als „graue Maus“ Tinka. Den hier schon mehrfach bejammerten zu schönen Carlos nehm ich als den üblichen Wermutstropfen. Dazu noch gut bekannte Altmeister des TV-Spiels wie z.B. Ernst Jacobi, Jürgen Heinrich und Oliver Breite. Anna Fischer ist zauberhaft, und ihren kleinen spitzen Augenzahn find ich süß.

Meine Empfehlung: Film kucken am Mittwoch, dem 19.5. ARD 20:15h und dann Buch bestellen und lesen.

Als Vorlage diente der Roman von Else Buschheuer, der auch dieses Jahr im Aufbau Verlag, Berlin, neu aufgelegt wurde

Montag, 19. April 2010

Nur Narren begrüßen den neuen Tag mit einem Lächeln. "A Single Man"

George (Colin Firth) ist kein Narr. George ist ein Lehrer. Ein korrekt gekleideter, unauffällig eleganter Herr in diesen dubiosen „besten Jahren“. In seiner Wohnung, an seinem Arbeitsplatz und an ihm selbst herrscht penible Ordnung. George ist weder außerordenlich schön noch besonders hässlich, Gesicht und Frisur sind eben auch korrekt. Das ist das Äußerliche.
Innerlich ist George zerrissen. Er leidet seit nun schon acht Monaten unter dem Verlust seines Lebenspartners Jim (Matthew Goode), der durch einen Autounfall ums Leben kam. Sechzehn Jahre waren sie zusammen. Der Freigeist Jim und der Ruhepol George. Ein schönes, ein harmonisches Paar, wie in den vielen flash-backs gezeigt wird. Überhaupt gibt es sehr, sehr viele flash-backs, was ich ja generell nicht so mag, aber hier passt es schon, denn wie sonst sollte sein derzeitiger Zustand begründet werden? Am drögsten ist ja immer, wenn Protagonisten in langen Dialogen oder, noch schlimmer, Monologen, ihre Vergangenheit ausleuchten.
George leidet also. Er nimmt seine Kollegen nur noch oberflächlich wahr, seine lethargischen Schüler öden ihn an, und die diskreten Annäherungsversuche des Studenten Kenny (Nicholas Hoult) registriert er mit einem müden, geduldigen Lächeln. Er hat keine Freude mehr am Leben, war er doch schon vorher nicht der strahlende Optimist, jetzt hat er erst recht alles satt. „Jim war immer fröhlich beim Aufwachen“, moniert er nachsichtig: „Only fools greet the morning with a smile“.
Seine gute Freundin, Charlotte „Charley“ (Julianne Moore), eine überkandidelte Trinkerin, etwa in seinem Alter, schmeißt sich noch mal ran, um eine seit ewigen Zeiten abgehakte kurze Affaire mit ihm wiederzubeleben. Aber der Ofen ist schon lange aus. Colder than a witches tit. Sie bleibt die Freundin, an deren Schulter er sich in den ersten Stunden des Schocks weinen darf.
Diese Szene, in der George vom Tod seines Geliebten telefonisch informiert wird, setzt den Ton, die Stimmung, für den weiteren Verlauf. Mit der berühmten britischen „stiff upper lip“ hört er die Nachricht, die ihm durchaus feinfühlig übermittelt wird, und bewahrt absolute Contenance. Er fragt die richtigen Fragen, gibt die korrekten Antworten, und erst bei Freundin Charley bricht er zusammen als er ihr weinend in die Arme fällt. Das ist aber auch das einzige äußere Zeichen seiner privaten Hölle. So gefasst, wie er sich darstellt, so überlegt und überlegen, überrascht es mich, dass er diese acht Monate überhaupt überstanden hat.
Aber acht Monate sind genug des Leidens, ohne Jimmy, ohne Freude, ohne einen Grund, für den es sich weiterzuleben lohnte. Er beschließt also, sein Leben zu beenden. Und da er ein ordentlicher Mann ist, plant er das minutiös. Er bringt sein Leben in Ordnung, sortiert Dokumente, die nach seinem Tod benötigt werden, Versicherungspolicen, Abschiedsbriefe, Anzug und Anweisungen für seine Bestattung, ein paar Scheine für die Haushälterin, versteckt im Brotbeutel, den sie gerne im Tiefkühlfach aufhebt.
Dann probt er die Ausführung, a dry run mit Revolver. Das sind komische Szenen, absichtlich von hell-schwarzem Humor angehaucht, und es darf auch etwas erleichtert gelacht werden.
Colin Firth gefällt mir außerordentlich in dieser Rolle. Colin Firth gefällt mir meistens. Tom Ford als Regisseur kann ich nicht einschätzen, es ist sein erster Film. Hier und da bricht die Ästhetik eines Mode-Designers in den farb- und bewegungsschönen Bildern durch. Ich hätte gut auf einigen geschmäcklerischen Schnick-Schnack verzichten können, die mehrfach wiederkehrenden Unterwasserszenen zum Beispiel. Stellenweise ist mir die Szenerie zu glatt, Madison Avenue-mäßig auf hochglanz poliert. Schwarz-weiß und Sepia suggerieren Stimmungen, die Firth gut mimisch und gestisch selbst ausdrückt. Aber es gibt auch geistreiche Dialoge, Situationskomik, schön möbilierte Häuser und edel gekleidete Menschen. kein Film, den man unbedingt gesehen haben muss, aber schaden tuts auch nicht. Schon wegen Colin Firth nicht.
Die Romanvorlage ist von Christopher Isherwood von 1964, die Zeit, in der auch der Film spielt. Eine Zeit, in der es noch klumpige Telefone mit Spiralkabel und Wählscheiben gibt.

Dienstag, 6. April 2010

Das weiße Band

Wenn ich was gut kann, dann ist es mich gruseln. Und die Schauder, die mir über den Rücken liefen, waren nicht wohlig sondern eiskalt.
Ein Kinderfilm, steht unter dem Titel. Das ist insofern irreführend, als er nicht FÜR Kinder ist, obwohl er laut FSK für Zwöfjährige freigegeben ist.
Zwar handelt der Film von Kindern, es wirken viele Kinder mit, das ist aber auch alles. Und sie sind diesmal nicht nur Staffage mit hohem Niedlichkeitsfaktor. Null Niedlichkeitsfaktor. Es sind Kinder, wie wir sie auf alten Fotos unserer Urgroßeltern gesehen haben. Die Mädchen mit knöchellangen Kleidern, Zöpfen und Affenschaukeln, die Jungen mit Hosenträgern und strengen Jöppchen und kurzgeschnittenen Haaren - Fassonschnitt.
Es ist ein Film zum Fürchten. Die Düsterheit der schwarz/weiß Aufnahme unterstreicht das. Manche Personen sehe ich nur als schemenhafte Schattengestalten. Kurze Einblicke, die manche Handlung nur ahnen lassen, und das genügt auch für mehr Schaudern.
Es gibt keine Hauptdarsteller im Sinne von „leading woman“ oder „leading man“, nicht mal „leading child“. Alle Personen sind gleichzeitig Hauptpersonen und Nebenfiguren. Auch die Kinder.
Das Erste, was ganz offenbar wurde, war, dass die Männer ein brutales Regiment führen, die Frauen kuschen, und die Kinder leiden.
Es geschehen unheimliche Dinge, Brutalitäten an Kindern und Erwachsenen. Und ich dachte dann auch sofort – von Tatorten gestählt – aufpassen, wer da von Außerhalb kommt, ein Fremder. Am besten ein unheimlicher Fremder. Aber da kam keiner. Alle waren schon da.
Also aufpassen, wer sich besonders verdächtig machte. Und alle waren schon da.
Die Dinge ereigneten sich kurz vor dem 1. Weltkrieg in dem sehr kleinen, abgelegenen deutschen Dorf Eichwald. Die Hierarchie im Dorf ist klassisch für diese Zeit: der Gutsherr, der Pastor, der Arzt. Alle drei Familienväter mit Kindern, die sich nur durch ihre Kleidung voneinander unterscheiden. Schmale, blonde Kinder. Die Männer sind streng und autoritär. Die Frauen an ihrer Seite unterwerfen sich ihrem Regiment, auch wenn sie manchmal vergeblich versuchen, zu vermitteln.
Besonders die Rigidität des evangelischen Pfarrers (Burghart Klaußner) erschreckte mich. Mir schien, als hätte er die Kinder nicht, weil er sie liebte, sondern weil er dem Gebot der Religion folgte, das die Vermehrung verordnete. Er straft seine Kinder erbarmungslos auch für die kleinsten Vergehen, für dumme Streiche.
Der verwitwete Arzt (Rainer Bock) hat ein Verhältnis mit der Hebamme (Susanne Lothar), die er demütigt und erniedrigt auf eine Art, die mir Tränen in die Augen treibt. Er hat sie satt. Er will sie nicht mehr in einer dunkelen Ecke besteigen. Wie nebenbei, ruhig und kalt sagt er: "Du kommst daher wie das Leiden Christi zu Pferde, du bist häßlich, du bist ungepflegt, du riechst aus dem Mund, ebensogut könnte ich eine Kuh bespringen. Geh, warum stirbst du nicht einfach. Du hast kein Ehrgefühl." Sie antwortet überraschend gefasst: "Neben dir kann man sich das nicht leisten." Sie geht aus dem Haus. Mir bleibt der Kloß im Hals.
Der Gutsverwalter (Josef Bierbichler) in seiner Art ein Patriarch. Und streng natürlich auch. Keine Spur der sonst so betont bierbichlerischen Jovialität.
Die restliche Dorfbevölkerung arbeitet auf den Feldern des Gutsherrn. Die Kinder helfen mit. Und wenn sie grad nicht helfen, spielen sie anderen – Kindern und Erwachsenen – dumme Streiche. Dumme? Böse. Sehr, sehr böse. Und die drakonischen Bestrafungen folgen auf dem Fuß. Der Pfarrer zum Beispiel macht diese Strafen zu einer Art Schaulaufen, wenn die Kinder als äußeres Zeichen ein weißes Band im Haar oder am Ärmel tragen müssen: „Seht her, ein verwerflicher Mensch.“
Ist es die Unterdrückung, die Gnadenlosigkeit der Strafen, die diesem Obrigkeitsdenken Vorschub leistet? Dem bedingungslosen Gehorsam? Der Grausamkeit?
Alles Böse in dieser Welt scheint hier auf die kleinstmögliche Einheit reduziert worden zu sein. Die Familie im abgelegenen Dorf.
Der rührendste Moment ist für mich der, als der kleine Sohn des Pfarrers seinem Vater den Vogel schenkt, den er verletzt gefunden und gesundgepflegt hatte. Einer der unsäglich traurigen die Reaktion des Vaters.
Die Sinnlosigkeit der bösen Taten, die unendliches Leid schaffen, ist offenbar. Die Sinnlosigkeit der Bestrafungen, der rigiden Herrschaftsideologie, wird vorgeführt. Am Ende gehe ich aus dem Film und denke, man kann drauf zeigen, so viel man will. Es wird sich nichts ändern an dem Bösen. Außer der Form.

Montag, 29. März 2010

PRECIOUS

„Precious“ ist wuchtig.
„Precious“ ist brutal.
„Precious“ ist stein- und herzerweichend.
Gegen Ende erzählt die Mutter (Mo’nique, Oscar für die beste weibliche Nebenrolle) der Frau vom Sozialamt (Mariah Carey, unerwartet zurückgenommen), dass ihre kleine Tochter „a really precious baby“ war, die mit ihr und ihrem „common law husband“ Carl (Lebenspartner) in einem Bett schlief, bis sie drei Jahre alt war, als Carl seine Tochter zum ersten Mal vergewaltigte. Die Mutter, weinend und schluchzend, kaum fähig, das Schreckliche zu beschreiben: „ ...und dabei hätte ich es sein sollen, die er liebte, die er anfasste und streichelte...“ Inzwischen ist Precious (Gabourey Sidibe) nun 16 Jahre alt und zum zweiten Mal vom eigenen Vater schwanger. Sie sitzt neben ihrer Mutter und hört fassungslos zu.
Zu Hause ist Precious der punching ball. Ihre ebenso faule wie eifersüchtige Mutter behandelt sie wie Dreck. Anstatt sie vor dem gewalttätigen Vater zu schützen, ist sie quasi der verlängerte Arm des Vaters. Und sie beschuldigt die Tochter, ihr den Mann gestohlen zu haben. Precious ist die ungeliebte Dienstmagd, eine Last, hässlich, fett, dumm, zu nichts nütze. Nicht mal kochen kann sie richtig. Und wenn die Mutter angwidert die gekochten Schweinshaxen ablehnt und Precious befiehlt, sie selbst zu essen, dann lässt Precious sich ergeben in einen Sessel plumpsen und stopft das Ekelzeug in sich rein. Wenn Precious nicht sofort gehorcht, schlägt die Mutter rabiat zu. Und Precious schlägt nicht minder rabiat zurück. Gewinner gibt es keine.
Precious’ erstes Kind hat Down Syndrom und lebt bei der Großmutter. Sie nennen es „Li’l Mongo“. Klein Mongo wird herangekarrt, wenn die vom Sozialamt kommen. Damit wird vorgetäuscht, dass das Kind in der Familie lebt, damit sie auch die finanzielle Beihilfe bekommen. Das Kind wird herumgereicht wie eine Kaffeetasse, von der man nicht weiß, wo man sie abstellen soll.
Precious fliegt von der Schule, als sie zugibt, wieder schwanger zu sein. Und ab jetzt geschieht das Unfassbare: Precious findet jemanden, der sich für sie und für ihr Schicksal interessiert, und dafür, dass sie eine Chance wahrnimmt. Sie wird an einer Art Sonderschule für sozial und intellektuell benachteiligte Jugendliche von der engelsgleichen Lehrerin Blu Rain (Paula Patton) unterrichtet und gefördert, bis sie gut genug lesen und schreiben kann, um zur Abschlussprüfung der High School zugelassen zu werden. Der Traum vom College rückt für Precious in eine greifbare, reale Nähe.
Sie bekommt ihr zweites Kind, einen gesunden Jungen, dem sie ein schönes Leben machen will. Ihm und Lil’ Mongo auch. Im Krankenhaus hat sie sich sogar ein kleines bisschen verliebt in Nurse John (Lenny Kravitz).

Doch dann schlägt auch schon die nächste Bombe ein: ihr inzwischen verstorbener Vater hat ihr nichts außer HIV vermacht.
Es ist klar, dass es kein happy-end geben kann. Und dass alle Fragen, die sich selbstverständlich stellen, unbeantwortet bleiben. Ich hab es nicht anders erwartet. Es wird kaum ein Klischee ausgelassen, und trotzdem, trotzdem... die Geschichte – wie soll ich sagen? - grabs you by the balls.

Der Film ist streckenweise schwer zu ertragen. Aber immer, wenn es fast unerträglich wird, wenn sich die Tränen wie von selbst in meinen Augen sammeln, schafft es Precious, ihrer Hölle zu entrinnen - nein, falsch, entrinnen kann sie ihr nicht - ihre Hölle zu überleben. Sie flüchtet sich in ihre schöne bunte Traumwelt, in der sie ein Star ist, beliebt und geliebt und umschwärmt. Ohne diese Traumwelt wäre sie abgestumpft, verkommen und untergegangen.
Die Traumsequenzen sind laut, farbenfroh, fröhlich, mit ihr als strahlendem Mittelpunkt. Die Alltagsszenen blasser - alltäglicher.

Normalerweise sitze ich in den Kinos am liebsten in der letzten Reihe. Da kann ich ungestört mit meiner kleinen Taschenlampe rumfuchteln und Notizen machen, die ich für später brauche.
Diesmal nicht. Da haben sich die Bilder in meinem Hirn festgebohrt. Und die Dialoge sitzen noch immer wie Faustschläge in der Magengrube.

Montag, 22. März 2010

Das erste Mal

Ja ja, da zucken gleich alle zusammen und denken: „peinlich, peinlich, da will ich aber nicht drüber sprechen. Und dann hier, wo alle zuhören, zukucken, mitlesen…“
Aber, um das mal gleich klarzustellen, es gibt gar nichts, das so peinlich ist, dass man nicht drüber sprechen könnte. Weil nämlich jeder von uns und von euch schon mal was ganz wahnsinnig Peinliches erlebt hat. Und überhaupt, diese peinlichen Geschichten sind sich doch alle irgendwie ähnlich. Am peinlichsten ist allerdings dieser Moment, wenn man dringend ein Loch sucht, das sich bitte, bitte auftun soll, damit man sofort und auf der Stelle darin verschwinden kann. Und es tut sich nix auf. Wir ertragen die Pein der Peinlichkeit aufrecht wie richtige Frauen und Männer. Wenn auch mit nem Satz roter Ohren.
Das erste Mal, um das es hier jetzt geht, ist eins, das euch allen, uns allen noch bevorsteht, und das wir alle definitiv und unweigerlich erleben werden. Und das wir nicht üben können. Es kommt auf uns zu. Jeden Moment, jede Stunde, jeden Tag neu.
Es geht ums Älterwerden.
Oooch, das hat doch noch Zeit, denkt ihr. Das lese ich von euren Augen ab. Falsch gedacht. Ihr seid gerade dabei. Jetzt in diesem Moment seid Ihr schon wieder älter als vorhin, als ich hier reinkam.
Ooch, das meint die… is doch pille palle. Und das dauert.
Ja. Das dauert. Ein Leben lang. Und auf dem Weg dahin ist jeder Tag ein erstes Mal.
Und es wird täglich Jemanden geben, der uns sagen wird, wie es geht. Was wir machen müssen, wie wir dieses und jenes zu finden haben. Was wir tun und lassen oder besser machen sollen. Sie werden uns Vorbilder aufzählen, denen wir nacheifern sollen. Denn die leben schon länger als wir, und die wissen, wo’s lang geht. (Ja, es gibt auch Menschen, die leben schon länger als ich).
Mag sein. Aber auch für die gab‘s irgendwann ein erstes Mal. Und für die davor und davor und davor. Und worauf kommt’s an? Darauf, dass wir den Tag überstehen. Mit Anstand, mit Würde, mit Respekt und mit heiler Haut. Ohne Peinlichkeit, wenn‘s geht. Und wenn’s nicht geht, ist es auch nicht so schlimm. Vorbilder helfen. Gute Ideen helfen. Respekt vor anderen Menschen hilft. Jeder Tag eine neue Chance, etwas besser machen zu können als gestern.
Und dann natürlich Würde. Das ist ja das, wovon immer und überall geschwafelt wird. In den Medien und auch in unseren täglichen Unterhaltungen. Das hört man ja besonders oft im Zusammenhang mit dem Älterwerden: in Würde altern.
Um in Würde zu altern, muss man auch sein bisheriges Leben, dem, das vor diesem wirklichen Altwerden kommt, in Würde gelebt haben. Ich kann ja nicht die ganze Zeit unwürdig oder würdelos die Sau rauslassen und dann plötzlich sagen, huch, jetzt werd ich ja langsam alt, Würde komm raus. So funktioniert das nämlich nicht.
Per Grundgesetz ist „die Würde des Menschen unantastbar“. Und jeder Mensch hat seine eigene Würde, da sollte es ja eigentlich kein Akt sein, würdevoll zu leben. Bis ins hohe Alter. Ohne besondere Anstrengung. Es ist ja auch ganz einfach. Man muss nur Gut und Böse, Recht und Unrecht, Moral und Unmoral auseinanderhalten können. Und zur richtigen Zeit das Richtige einsetzen. Und schon klappt‘s auch mit der Würde.
Manche meinen ja, dass es mit Würde zu tun hat, wenn man nicht nur ruhiger und zurückhaltender wird, je älter man wird, sich „angemessen“ kleidet, schminkt, sich nen Beton-Dutt frisiert, kein Rock’n Roll mehr hört, nicht mehr in der Disko abrockt, keine Jeans mehr trägt oder Sneakers oder Dockers.
Bißchen viel wird da von einem erwartet. Soll ich jetzt in Sack und Asche gehen? Im italienischen Witwen-Look, in Schwarz, wie die alten Frauen in den Filmen „Der Pate I, II, III“? Oder mit Rock und Biedermeierbluse und Damenschuhen?
Sollte plötzlich Nena ihren „99 Luftballon“ Song nicht mehr singen dürfen, nur weil sie übermorgen 50 wird? Solang sie das machen will, und solang es Leute gibt, die das hören wollen, ist das doch okay.
Und wer’s blöd findet, schaltet ab. Allerdings gibt’s auch Fälle, wo ich mich dann doch frage, wo die Würde aufhört und das Elend anfängt. Beispiel Cher, die lebende Baustelle.
Mir geht’s ja im Großen und Ganzen nicht viel anders als euch. Euch sagt man auch immer so Sachen wie: „In deinem Alter tut man das nicht mehr“, wenn ihr mal Rotz und Wasser heulen und mit euern Kuschelbären sprechen wollt.
Und mir sagt man genau dasselbe, wenn ich mit den M3-Player-Knöppen im Ohr in der U-Bahn hocke und im Takt mitwackele.
Alter Falter!

Samstag, 13. März 2010

A Soft Spot for a "Crazy Heart"

Inzwischen ist mir auch eingefallen, was „soft spot“ auf deutsch heißt: eine Schwäche haben für etwas. Und ich schwächele ganz schön. Für diesen Film und für Jeff Bridges und für Country Music. Und das war auch nicht immer so, das mit der Country Music. Erst als ich eine Weile in Texas gelebt hatte, entwickelte ich diese Schwäche. Und auch für die Landschaft, in der dieser Film spielt. Die ist mir so gut bekannt. Die Fahrten durch die Wüste zwischen Albuquerque und Santa Fe hab ich unzählige Male gemacht. Und nach Phoenix und Houston auch. So gesehen, könnte ich das glatt einen Heimatfilm nennen. Aber das ist er überhaupt nicht.
Es ist einer, der mir an mein Herz geht.
Dabei ist es so eine abgefrühstückte Geschichte. Alternder Künstler verliebt sich in eine junge Frau, ein bisschen Tragik, ein bisschen Glück. Ein Kind, das man dankenswerterweise völlig unputzig besetzt hat, und die wundervolle Maggie Gyllenhaal, die ebenfalls dankenswerterweise keine dieser hollywoodesken Zuckerschnuten ist.
Jeff Bridges altert schön, uneitel zeigt er seine kleine Plautze, aber er hat auch immer noch einen netten Knackarsch.
Robert Duvall in einer schönen, sehr kleinen Nebenrolle.
Soulig bluesige Country Music von T-Bone Burnett, fast mehr Blues als Country. Country SoulBlues.
Das ist alles drin im Film, aber das allein macht es nicht aus, dass er mir gefiel und ans Herz ging.
Bad Blake (Jeff Bridges), ein Country-Sänger auf dem Weg nach unten, ach, was heißt auf dem Weg – er ist schon da - tingelt in drittklassigen Spelunken, aber seine Zeitgenossen, bekennende Fans, erkennen ihn immer noch und kommen, um ihn und seine Fender Gitarre zu hören. Und ob im Vollsuff oder nicht, er ist immer noch gut. Aber er ist eben Alkohliker, Kettenraucher, und muss ab und zu während eines Gigs mal eben raus, in die Mülltonne kotzen. Danach putzt er die Grütze von seiner Sonnenbrille ab und marschiert wieder rein und spielt besoffen weiter. Ein hard-core Profi.
Er lernt die junge Jean Craddock (Maggie Gyllenhaal) kennen, eine Journalistin, die für die Santa Fe „Sun“ ein Interview mit ihm will. Sie ist die geschiedene Mutter des unniedlichen vierjährigen Buddy (Jack Nation), über den letztendlich auch die Beziehung, die sich zwischen Bad und Jean entwickelt, scheitern wird. Aber nicht allein daran. Er ist 57, er ist kaputt und zu dem Alkoholismus und der verquarzten Lunge hat er auch noch Krebs. Die Art, wie er diese Nachricht im Krankenhaus nach einem Autounfall entgegennimmt, lässt vermuten, dass er das mit dem Krebs schon wusste. Spätestens an dieser Stelle wird klar, dass es kein happy-end geben wird.
Die Krankheiten werden ihn umbringen noch bevor das Leben es kann.
„This ain’t no place fort he weary kind“
Andererseits gibt es doch so eine Art happy-end, denn Bad trifft eine Entscheidung. Eigentlich mehrere. Zu retten ist er nicht mehr, aber er hat sich auf seine Weise gerettet.

Montag, 8. März 2010

Nachtlese - Nachlese - The Night at the Oscars

Als ich dann gestern von der backstage party oder aftershow party oder wer-geht-noch-irgendwo-mit-hin party kam, war ich einfach zu alle, um zu checken, dass ich ja noch ganz wahnsinnig wichtige events vergessen hatte zu erzählen oder durch Bilddokumente zu belegen.
Heut ist is ja sicher zu spät, denn sämtliche Zeitungen werden voll davon sein, aber da hab ich mir nun die Mühe gemacht und all die Fotos hochgeladen und mir die Finger wund getwittert, da liefer ich doch gern die Bildchen nach, zu denen gestern keine Zeit mehr war. Und ich bin noch zu schlapp, um diese tonnenschweren Papierbündel hochzuheben.
Und außerdem hab ich ja total verschwitzt, die Sandra Bullock zu erwähnen,

da war ich sicher wieder im Vestibül und bin dem Dings oder dem Bums nachgejagt.
Mein Gesamteindruck vom Event war schon der, dass man an allen Ecken und Enden gespart hat. Nur die Stare und Starinnen waren glamourös, die Feier als solche hatte nicht die Opulenz der früheren Jahre. Vielleicht liegts aber auch an den Filmen? Die aber werden immer aufwendiger. Ich denk da nur an „Avatar“, der war ja nun nicht grad auf der Schrotthalde zusammengeschustert.
Kann auch nicht schaden, wenn die Academy Awards people mal auf die Groschen kucken, und das überschüssige Geld sinnvoller einsetzen. Schließlich backen die Bambis und Filmpreises und was nicht alles auch etwas kleinere Brötchen. Hier, in Euro-Land. Krise ist überall.
Diesen Film „Precious“, von dem ich einen längeren trailer gesehen hab, und der von Oprah Winfrey sehr gesponsort wurde, hätt ich ja gern gesehen. Aber wo läuft der jetzt? Auf den Zettel damit.

Und dann fiel mir noch auf, dass es ja wohl ein schöner Zug war (oder eine fiese Stichelei?), dass Barbra Streisand den Oscar für die beste Regie an Kathryn Bigelow überreichen durfte, wenn man bedenkt, dass sie ja mal für „Yentl“ nach dem Preis lechzte. Damals hat sie „nur“ den Golden Globe für ihre Regie bekommen, und für den Oscar war ihre Regiearbeit gar nicht erst nominiert worden. Da hätte sie dann die erste Frau mit einem Oscar für die beste Regie sein können. Aber nebbich. Nu isse zumindest Überreicherin an die erste Regisseurin. Is ja nich nix.

Und ob ich mir den „The Hurt Locker“ antue? Der klingt schon sehr, sehr nach wehtun. Und menschliche Bomben und überhaupt Krieg – nicht so mein Thema. Aber es gibt ihn ja, wenn man täglich davon im Radio hört, im Fernsehn sieht, dann sollte das eigentlich genügen. Allerdings hat sich eine Frau, Kathryn Bigelow, mit dem Thema künstlerisch auseinandergesetzt, und allein das wär es schon wert, zu schauen, was sie gemacht hat.
Also, auf den Zettel damit. Things to do.
„Crazy Heart“ kommt auf meinen Zettel, weil ich ja einen weichen Fleck hab im Herzen für die Country Sänger. Heißt das so? To have a soft spot for something?
Auf jeden Fall hab ich jetzt eine weiche Birne und freu mich auf mein kuscheliges Bett im Zwergenheim.

Mittwoch, 24. Februar 2010

Sau durchs Dorf

Les grad, Frau Kässmann tritt zurück. Okay, war Scheiße, wie das abging, aber es ist nun mal passiert. Keine Menschen verloren ihr Leben, wurden betrogen, belogen oder sexuell belästigt. Niemand hat von ihr verlangt oder erwartet, dass sie unfehlbar sei. Wie ein Papst zum Beispiel. Den verkneifen sich die Evangelen mit gutem Grund.
Aber schön, damit ist die Aufmerksamkeit erst mal weg von den täglich unsäglicher werdenden Schandtätern, die... siehe oben. Und wenn erstmal ein zartes Gräschen über den Kässmann-Rücktritt gewachsen sein wird, dann hoffen die üblichen Verdächtigen klammheimlich im stillen Stübchen darauf, dass bitte, bitte bald wieder ne andere Sau durchs Dorf getrieben werde.
Vielleicht entspringt ja mal wieder irgendwo eine Wildsau oder ein Problembär.

Dienstag, 23. Februar 2010

Blue Men reloaded - Avatar

Dieser Jesus damals, bei der Hochzeit von Kana, der hat doch den guten Wein erst verteilt, als die Plörre alle war, da hat der quasi das Badewasser in erstklassigen Wein verwandelt. Aber eigentlich geht’s doch immer so, dass erst der Spitzenwein ausgeteilt wird, und wenn alle besoffen sind, der Fusel, oder?
So versuch ich das jetzt mal: erst sag ich was ganz Tolles über den Film „Avatar“, und später dann hol ich quasi den billigen Fusel raus. Ihr werdet es gar nicht merken, mein Wort drauf.
Also hier jetzt erst mal das Tolle: es sind ohrenbetäubend phantastische Bilder, die da über mich herfallen. Bestürzend blaue Töne, lichttriefende Weidenbäume, fedrige Samenquallen und knorzig-gigantische Baumgebilde verteilt über steile Felsen und hohe Berge. Planeten hängen vom Himmel, vor dessen seidigem Blau die exotischsten schmetterlingsähnlichen Greifvögel, so groß wie Doppeldeckerbusse, durch die Luft schießen. Freundlich sind die den Bewohnern dieses Lebensraums nicht gesonnen, aber wenn man sie zähmen kann, gehorchen sie.
Das Kind in mir, das niemals stirbt, mochte diese rasanten Hochgeschwindigkeitssturzflüge, MACH2 der Paradiesvögel, eng an den steilen Klippen vorbei, und die Kehrtwendungen in Nanosekunden up up and away. Und alles so schön bunt.
Das 3D-Format, nicht so neu, wie es gepriesen wird, verschafft schöne, teilweise verstörende Eindrücke. Wenn so eine güldene Samenqualle mir scheinbar ins Gesicht taumelt, fährt meine Hand automatisch hoch und will sie wegscheuchen. Wenn die Metalltür eines Kriegsbüropanzers mir beinah die Nase zu Brei malmt, schrecke ich zurück.
Das alles begleitet von ohrenzermürbender Geräuschmanufaktur, die vorgibt, Musik zu sein. Wer nicht spätstens jetzt sein Ohropax ins Ohr stopft, ist selbst schuld, wenn morgen einige tausend Haarzellen verreckt sind. Ich glaubte ja, Disko-Beschallung verursacht schlimmste Hörschäden, aber da hatte ich diesem Film noch nicht beigewohnt.
Dachtet ihr, das war schon der Teil mit dem Fusel? Falsch. Der kommt noch. Also erst mal: ich mag keine Fantasy-ScienceFiction-Filme. Ach so, meint ihr, deswegen wird der jetzt verrissen? Dann geh doch nicht rein in solche Filme, dumme Nuß. Aber dann wäre mir schon was entgangen, und ich hätt ja auch nix drüber schreiben können. Ach nee, und so direkt verreißen möchte ich das auch nicht nennen. Ich bin eben unentschlossen.
Aber ich frag jetzt mal, warum mussten all die Avatare der Nation Na’vie Schwänze haben? Also, so löwenschweifähnliche? Hat es der Geschichte gedient? Nein. Der Beweglichkeit, der Optik, dem Bewegungsablauf? Nein, nein, nein. Da hat der Herr Cameron einfach gedacht, mach ich denen mal Schwänze an den Arsch, das hat auf jeden Fall was Animalisches, und das ist ja hier auch Sci-fi, da kann alles. Die Pinscherohren z.B, waren doch praktisch, denn wie die da so in dem Urwald rumsprangen und flogen, da war’s schon ganz sinnvoll, solche Antennenohren zu haben. Denn mit den Augen allein konnten die ihre Umwelt gar nicht erfassen. Und – come to think of it – muß ja auch nicht alles Sinn ergeben. Science fiction, hallo? Da muß es ja Dinge geben, die es gar nicht gibt, und vor allem, die sinnlos erscheinen. So gesehen. Ach, und da fällt mir ein, die endlos langen Schwänze hatten ja doch eine Funktion: die puscheligen Endquasten konnten mit Baumwurzeln verbunden, verschmolzen, vereint werden, und so entstand ein Informationsfluss. Allerdings hätte das mit den Haarpuscheln an den langen Zöpfen genauso glaubhaft und effektiv erreicht werden können. Aber Schwänze, na ja, Schwänze gehn ja immer. Ich rate mal: vielleicht sollte so vermittelt werden, dass die Evolution noch schwerst im Gange war, und der Weg zur Menschwerdung halt über Schwänze führt. Aber englisch können die schon, immerhin. Warum auch nicht.
Putzig jedenfalls sahen sie aus mit ihrer blau-in-blau wellig gestreiften Zebrahaut, den blauen Gesichtern einer gedampfwalzten Blue Men-Group, den langezogenen, muskelbepackten gephotoshoppten Figuren, die notdürftig aber ausreichend bedeckt waren.
In der Geschichte ging es um das Übliche. Den bösen und selbstverständlich starken und gierigen Feind, der eine machtvolle Über-Kriegsmaschinerie besitzt und danach lechzt, sie einzusetzen. Denn, und auch das ist das Übliche, er will etwas haben, was er dringend braucht, und die, die es haben, die Guten, leben als friedliche Waldkreaturen in ihrem Märchenwald und haben kein Interesse dran, es herzugeben. Die einen sind rabiate (amerikanische!) Krieger, die anderen naturverbundene Na’vis. Die ersten Settler gegen die Indianer, die Brutalos gegen die liedersingenden, im Tanz sich wiegenden und anspruchslosen Wesen aus der Anderswelt. Goliath gegen David.
Die gierigen Bösen spionieren erst mal die guten Na'vis aus, indem sie eigene Leute vermittels einer parallelen Zeitmaschine metamorphosieren und sie in der Gestalt von Na'vis als Avatare unters Naturvolk entsenden, um sie auszuspionieren. Der so gemorphte Held Jake verliebt sich dann in die Prinzessin der Na'vis, Neytiri, und fortan ist er geläutert und kämpft für sein neues Volk. Die sind leider not amused, weil sie rausfinden, dass Jake zu den Bösen gehört. Was schnell passiert wegen des kleinen Unterschieds: ich sag nur fünf Finger gegen vier Finger. Und Zehen natürlich auch. Aber wie das so ist in Märchen, kämpfen Jake und sein ärgster Widersacher den nötigen Kampf. Und weil im Grunde ihrer Herzen ja beide Gute sind... ach nee, ich will jetzt nicht den ganzen Film erzählen.
Dazu wahrlich bombastische Bilder der imaginären Natur des Mondes Pandora. Sie erinnern ebenso an Gemälde von chinesischen Gebirgszügen, wie auch ein bißchen an die weihnachtliche Beleuchtung von amerikanischen Shopping Malls. James Horner schrieb die Musik - leider nicht nur extrem laut, sondern auch manchmal an afrikanische Stammesgesänge oder andere ethnische Klänge erinnernd - ist omnipräsent und streckenweise schwer zu ertragen. Die Landschaft allerdings ist ein wildes, farbenfrohes, ständig wechselndes Märchenpanorama, in dem ebenso wilde wie farbenfrohe und märchenhafte Dschungelviecher rumtoben, aber letztendlich haben selbst die ein Herz aus Gold und sind den Na’vies Retter in der Not.
Da ich nun eben kein Fan von Fantasy und Sci-fi-Filmen bin, weiß ich auch nicht so recht, wem ich den empfehlen soll außer vielleicht den Fans von solchen. Aber genau da liegt der Hase im Pfeffer, weil es für die ja wohl auch Unterschiede gibt, die ich gar nicht kenne. Bei meinem 15-jährigen Neffen habe ich Video Games auf dem Bildschirm verfolgt, die ähnlich schnell, bunt und unterhaltend waren. Das ist also wahrscheinlich die Zielgruppe, und die Technik-freaks, die SFX-junkies, die Spieler.
Ja, da bin ich mal so richtig aus mir raus gegangen, mit dieser Besprechung. Überbordend wort- und besonders adjektivreich geschmückt, hab ich versucht, an den Bombast des Films heranzukommen. Und noch ein Grund, warum es kein reiner Genuss war, diesen Film - immerhin 160 Minuten lang - zu sehen, war der, dass ich in der dritten - Reihe saß, und dass ich immer noch unter Genickstarre leide
Von den Schauspielern kenne ich eigentlich nur Sigourney Weaver, der ausnahmsweise mal keine häßlichen Aliens aus dem Leib flutschen. Bewusst hab ich die anderen noch nie gesehen. Zoe Zaldana, die die Neytiri spielt, die weibliche Hauptrolle, erinnert allerdings stark an Lara Croft. Aber das ist sicher der reine Zufall.

Sonntag, 14. Februar 2010

Über das Sprechen und das Schweigen

 
Es wird so viel geredet. Von rechts und links wird man zugeschwallt. Es redet, redet, redet. Unwichtige und belanglose Dinge. Die Luft wabert und flirrt von den Stimmen, die unablässig murmelnd an meine Ohren, in meine Ohren (und mit Glück auch mal daran vorbei) flattern. Einen Ohrenfilter wünsche ich mir, der, noch bevor die Geräusche mein Hirn als Worte und Sätze erreichen, den Müll rausfiltert. Ich bilde mir ein, wenn ich nur noch essentielle Nachrichten hören kann, wird es mir besser gehen. Aber das ist sicher nur eine Illusion, ein Wunschtraum.
Es fällt mir immer öfter auf, dass manche Menschen, die wirklich etwas zu sagen haben, lieber stillschweigen. Sie sprechen nicht mehr. Sie bergen Geheimnisse in ihren Herzen und ihren Köpfen, die sie nicht mehr rauslassen wollen. Oder können. Das sind die Alten, die nach und nach sterben. Zeugen einer Zeit, die bereits für die meisten von uns Geschichte ist. Unsere Großeltern sind das, die aufgehört haben, zu erzählen. Aus Angst, aus Schmerz, aus Scham, aus Feigheit, aus Stolz. Bald werden sie alle tot sein und mit ihnen sterben die nicht erzählten Geschichten.
Über meine Familie hatte ich schreiben wollen. Eine sehr große, kunterbunte Familie mit einer kunterbunten, abenteuerlichen Geschichte. Geschichten. Meine Oma und Uroma, das Öhmchen, wussten sie alle. Sie unterhielten sich manchmal flüsternd, wenn sie dachten, ich hör nicht zu. Aber ich hatte meine Ohren überall und bekniete sie, mir alles zu erzählen. Mehr. Einzelheiten. Damals sagten sie das, was sie auch heute noch den Kindern sagen: wenn du älter bist, du bist noch zu klein, du verstehst das noch nicht. Später sagten sie nichts mehr. Sie waren verstummt. Sie wollten nicht mehr über ihre Erlebnisse sprechen. Meine Oma hatte diese Angst, die wie eine chronische Krankheit immer wieder ausbrach. Sie sagte: „Der Hitler ist ja wohl weg, aber die Anderen, die sind noch da. Da bin ich lieber vorsichtig“. Wer „die Anderen“ waren, wollte sie nicht sagen. Als ich sie damals überredete, nein zwang, sich mit mir „Shoah“ anzusehen, ging sie nach einer halben Stunde weinend aus dem Zimmer und wurde noch stummer. Sie ist gestorben als sie über 90 war, mit ihrer Angst und mit ihren Geheimnissen in ihrem Herzen und in ihrer Seele.
Knutt Elstermann war erfolgreicher. Er konnte „Gerdas Schweigen“ brechen. Er hat sie in New York aufgesucht und sie dazu gebracht, mit ihm zu sprechen. Über ihre Vergangenheit. Das ist ein Wunder. Vielleicht hat sie es getan, weil seine Großmutter ihm so viel von ihr erzählt hat. Es ist ihr nicht leicht gefallen, und oft hat sie lange gezögert. Sie hat von dem Kind erzählt, das sie im KZ geboren hat, das gestorben ist, von ihrer Flucht, von ihrem neuen Leben in Amerika, dem neuen Kind, einem Sohn, dem sie nie von ihren Erlebnissen erzählt hatte. Also doch Schweigen. Das Schweigen ist auch eine Krankheit.
Man sollte es lesen, dieses Buch, dieses „Gerdas Schweigen“. Ein Buch über das Vergessenwollen und über das Schweigen. Diese schlimme Krankheit, deren Ansteckung ungebremst grassiert, und die letzten Zeitzeugen werden bald gestorben sein. Und alles wird nur noch Geschichte sein. In Büchern nachzulesen, die niemand mehr lesen will. Und es wird für die heute Zwanzigjährigen so weit entfernt und so unreal sein wie für mich die französische Revolution.
Ich hätte so gerne zugehört. Denen, die was zu sagen hatten. Aber es gibt doch noch welche, die sprechen, und es ist nicht zu spät, denen zuzuhören bevor sie auch für immer schweigen.

Donnerstag, 4. Februar 2010

Gefühlt gefügig

Da habe ich mir in jahrelanger grotesk hirnesker Schwerstarbeit die deutsche Sprache mit all ihren Tücken, Hintertürchen, Regeln, Geboten und Verboten... nein, gefügig gemacht kann ich nicht sagen. Vielleicht eher: ich habe ein Detente erreicht. Grundlage: sie tut mir nix, ich tu ihr nix. Da ich aber - worüber man sich gern mal bei mir beschwert - durch meine eigenen Erfindungen (Notwehr!) ihr - der Sprache - doch was tue mit meinen Versuchen, sie mir wohl in einer mir genehmen Form hinzubiegen, ist dieser Nichtangriffspakt auch nur ein Hirngespinst. Mein Hirn scheint sowieso nur aus Gespinsten zu bestehen, das nur nebenbei.
Jedenfalls kenne ich keine andere Sprache - und ich kenne die eine oder andere - die so lange, geschachtelte Sätze produzieren kann, für deren Verständnis man Stunden, Tage, Wochen braucht. Oder bräuchte, wenn man sich denn wirklich damit befasste, oder - wie ich es gern tu - sie überlese und zum späteren Verstehen in einem meiner spinnwebartigen Gespinste des Hirns zwischenlagere. Allerdings empfinde ich manchmal eine fast masochistische Freude daran, selbst solche Konstrukte zu bauen und die Mitmenschen damit zu verwirren. Zu quälen. Jawoll.
Im echten wahren Leben bin ich jedoch eine glühende Hemingway-Verehrerin. Auf jeden Fall was die Sprache angeht.
Meistens.
Also oft.
Na ja, manchmal.

Sonntag, 31. Januar 2010

Gesänge für Montage

also den Wochentag. Mit dem anderen, der Montahsche, hab ich nix am Hut. Was ist am Montag eigentlich so scheiße? Weiß das mal einer??? Wer hat das eigentlich erfunden?
Und die Lieder, die über Montage gesungen werden, hauen ja alle in diese Kerbe:
"Monday Monday“ von The Mamas and the Papas. Kennt die überhaupt noch einer? Und dann gibts eins, das geht so: "Tell me why I hate Mondays..." wer singten das? bitte? Als Kinder sangen wir: "Rain, rain go away - come on Mommy's washing day" und washing day war immer Monday! Evergrey singt von der "Monday morning Apocalypse", das bedeutet auch nix Gutes. Dann gibt's noch "Rainy Monday" (ha! der washing day) von den Shiny Toy Guns, und "Memphis Monday Morning" von Bobby Blue Bland, und "Blue Monday" und "Black Monday", und - nicht zu vergessen: von Quiet Riot den "Monday Morning Breakdown". Was ja wohl mindestens genau so übel ist wie diese Apokalypse.
Das muss jetzt auch erst mal genügen. Es gibt noch etwa 397 andere Monday Titel, die will ich hier nicht aufzählen, das kann ja auch keiner wollen. Jedenfalls nicht jetzt. Ich find's schon gruselig genug, dass es die gibt. Die Devise ist jetzt: vorausschauen. Nach Montag kommt Dienstag.
Gibt’s da ein Lied von? Ach ja „Ruby Tuesday“
Und vom "Mittwoch“ singt ja schon Slut, vom "Donnerstag" David Bowie.
Und The Cure hat sie alle drauf, in „Friday I'm in love“. Da könnte man sich die anderen auch alle sparen.
Ich hätte da ja ne revolutionäre Idee: einfach diese Wochentage abschaffen, das Jahr durchzählen und jeder macht zwischendurch immer mal wieder einen oder zwei Tage frei. Termine gehen dann so: "Wir könnten am Tag 107 zum Power-Lunch meeten" und der Andere so: " Ach nein, das ist mein Putztag, wie wärs mit Tag 109?" und der Erste wieder so: "Ausgeschlossen, da war mal Montag, das war immer son Scheißtag, da ging immer alles in die Hose..."

Freitag, 29. Januar 2010

„Der normale Mensch...


sitzt immer mit dem Gesicht zur Tür im Restaurant. Da musst du drauf achten", sagt meine Tante Cordula, genannt Kördelchen.

Wir sitzen beim Chinesen, und Kördelchen hat den Wandplatz erobert, weil sie wie ein Geschoss durchs Lokal gezoomt war.

Das impliziert schon mal a priori, dass ich gar nicht normal sein kann, weil ich ja nicht an der Wand sitze. Auch nicht sitzen will.

Der normale Mensch also. - Und die Diskussion über - "was ist schon normal", erspar ich uns. Ich ja wohl nicht.

"Warum denn?" frage ich Kördelchen.

"Weil man dann das ganze Restaurant oder die Tür und so, also weil man immer alles im Blick hat, also jeden, der reinkommt“.

„Zu was soll das denn gut sein?" Ich bin irritiert.

„Weil man sofort jeden sieht, der reinkommt. Da kann man kucken, ob man die kennt oder so“, sagt Kördelchen.

„Aber warum denn nur?" Bin ich wirklich so blöd?

"Ich geh doch normalerweise nicht allein in ein Restaurant, und dann hab ich doch einen, den ich ankucken kann."

"Nein, nein“ Kördelchen wieder „du musst immer sehen, dass du den Platz mit dem Rücken zur Wand bekommst", sagt Kördelchen beschwörend. - - -

„Also im Film machen das die Mafiosi so, damit sie sehen, wer mit ner Knarre reinkommt. Und das hilft denen ja auch nicht. Die Knarrenträger sind doch schneller als die Mafiosi, die sich auch nur hinter umgeschmissenen Tischen verstecken. - - Und die Kugeln bohren sich immer durch das Holz. Außerdem bin ich schließlich kein Mafioso“, sage ich altklug.

„Nein, nein, damit hat das gar nichts zu tun“, sagt Kördelchen „man muss eben immer kucken, wer reinkommt. Da sind doch oft mal interessante Leute dabei. Da kuckt man, was die anhaben, wie die geschminkt sind, wer heimlich mit wem essen geht, wer mit wem 'n Werk hat... so Sachen eben..."

"Das interessiert mich ja nun nicht die Bohne“ ich bin gelangweilt, „wenn ich mit jemandem essen gehe, dann doch nur, weil ich mich mit dem oder der über ‘nem Süppchen oder Zeuch unterhalten will. Ich geh doch nicht ins Restaurant essen, weil’s zu Hause nix gibt. Also jetzt zum Beispiel, ich wollte mich eigentlich mit dir unterhalten“, sage ich etwas vorwurfsvoll.

„Tun wir doch“, sagt sie irritiert.

Seit wir da sitzen, würdigt sie mich keines Blickes. Ich müsste mal ein wirklich interessantes Thema anschneiden. Über den normalen Menschen, zum Beispiel.

"Siehst du, jetzt gerade, “ sie hievt ihren Wallebusen quer über den Tisch, kommt auf Nasenspitzennähe, damit es auch niemand außer mir hört und wispert verschwörerisch: "da kommt der Doktor Brandes mit einer Frau, und das ist nicht seine."

„ Ich kenn keinen Dr. Brandes“, sage ich laut, denn ich bin schon leicht angepisst. "Will ihn auch nicht kennen lernen..."

"Pssst, nicht so laut, der kann dich ja hören. Dann weiß er, dass ich ihn gesehen habe..." zischelt Kördelchen

"Wenn du den gesehen hast, hat er dich wahrscheinlich auch gesehen“, mein letzter Versuch mit Logik,

"dann weiß er, dass du weißt, mit wem er rummacht."

"Ohgottogottt... sag das nicht“, sie hält sich schnell das Menü vors Gesicht. "Hoffentlich hatter mich nicht gesehen!"

Der normale Mensch eben.