Mittwoch, 24. Februar 2010

Sau durchs Dorf

Les grad, Frau Kässmann tritt zurück. Okay, war Scheiße, wie das abging, aber es ist nun mal passiert. Keine Menschen verloren ihr Leben, wurden betrogen, belogen oder sexuell belästigt. Niemand hat von ihr verlangt oder erwartet, dass sie unfehlbar sei. Wie ein Papst zum Beispiel. Den verkneifen sich die Evangelen mit gutem Grund.
Aber schön, damit ist die Aufmerksamkeit erst mal weg von den täglich unsäglicher werdenden Schandtätern, die... siehe oben. Und wenn erstmal ein zartes Gräschen über den Kässmann-Rücktritt gewachsen sein wird, dann hoffen die üblichen Verdächtigen klammheimlich im stillen Stübchen darauf, dass bitte, bitte bald wieder ne andere Sau durchs Dorf getrieben werde.
Vielleicht entspringt ja mal wieder irgendwo eine Wildsau oder ein Problembär.

Dienstag, 23. Februar 2010

Blue Men reloaded - Avatar

Dieser Jesus damals, bei der Hochzeit von Kana, der hat doch den guten Wein erst verteilt, als die Plörre alle war, da hat der quasi das Badewasser in erstklassigen Wein verwandelt. Aber eigentlich geht’s doch immer so, dass erst der Spitzenwein ausgeteilt wird, und wenn alle besoffen sind, der Fusel, oder?
So versuch ich das jetzt mal: erst sag ich was ganz Tolles über den Film „Avatar“, und später dann hol ich quasi den billigen Fusel raus. Ihr werdet es gar nicht merken, mein Wort drauf.
Also hier jetzt erst mal das Tolle: es sind ohrenbetäubend phantastische Bilder, die da über mich herfallen. Bestürzend blaue Töne, lichttriefende Weidenbäume, fedrige Samenquallen und knorzig-gigantische Baumgebilde verteilt über steile Felsen und hohe Berge. Planeten hängen vom Himmel, vor dessen seidigem Blau die exotischsten schmetterlingsähnlichen Greifvögel, so groß wie Doppeldeckerbusse, durch die Luft schießen. Freundlich sind die den Bewohnern dieses Lebensraums nicht gesonnen, aber wenn man sie zähmen kann, gehorchen sie.
Das Kind in mir, das niemals stirbt, mochte diese rasanten Hochgeschwindigkeitssturzflüge, MACH2 der Paradiesvögel, eng an den steilen Klippen vorbei, und die Kehrtwendungen in Nanosekunden up up and away. Und alles so schön bunt.
Das 3D-Format, nicht so neu, wie es gepriesen wird, verschafft schöne, teilweise verstörende Eindrücke. Wenn so eine güldene Samenqualle mir scheinbar ins Gesicht taumelt, fährt meine Hand automatisch hoch und will sie wegscheuchen. Wenn die Metalltür eines Kriegsbüropanzers mir beinah die Nase zu Brei malmt, schrecke ich zurück.
Das alles begleitet von ohrenzermürbender Geräuschmanufaktur, die vorgibt, Musik zu sein. Wer nicht spätstens jetzt sein Ohropax ins Ohr stopft, ist selbst schuld, wenn morgen einige tausend Haarzellen verreckt sind. Ich glaubte ja, Disko-Beschallung verursacht schlimmste Hörschäden, aber da hatte ich diesem Film noch nicht beigewohnt.
Dachtet ihr, das war schon der Teil mit dem Fusel? Falsch. Der kommt noch. Also erst mal: ich mag keine Fantasy-ScienceFiction-Filme. Ach so, meint ihr, deswegen wird der jetzt verrissen? Dann geh doch nicht rein in solche Filme, dumme Nuß. Aber dann wäre mir schon was entgangen, und ich hätt ja auch nix drüber schreiben können. Ach nee, und so direkt verreißen möchte ich das auch nicht nennen. Ich bin eben unentschlossen.
Aber ich frag jetzt mal, warum mussten all die Avatare der Nation Na’vie Schwänze haben? Also, so löwenschweifähnliche? Hat es der Geschichte gedient? Nein. Der Beweglichkeit, der Optik, dem Bewegungsablauf? Nein, nein, nein. Da hat der Herr Cameron einfach gedacht, mach ich denen mal Schwänze an den Arsch, das hat auf jeden Fall was Animalisches, und das ist ja hier auch Sci-fi, da kann alles. Die Pinscherohren z.B, waren doch praktisch, denn wie die da so in dem Urwald rumsprangen und flogen, da war’s schon ganz sinnvoll, solche Antennenohren zu haben. Denn mit den Augen allein konnten die ihre Umwelt gar nicht erfassen. Und – come to think of it – muß ja auch nicht alles Sinn ergeben. Science fiction, hallo? Da muß es ja Dinge geben, die es gar nicht gibt, und vor allem, die sinnlos erscheinen. So gesehen. Ach, und da fällt mir ein, die endlos langen Schwänze hatten ja doch eine Funktion: die puscheligen Endquasten konnten mit Baumwurzeln verbunden, verschmolzen, vereint werden, und so entstand ein Informationsfluss. Allerdings hätte das mit den Haarpuscheln an den langen Zöpfen genauso glaubhaft und effektiv erreicht werden können. Aber Schwänze, na ja, Schwänze gehn ja immer. Ich rate mal: vielleicht sollte so vermittelt werden, dass die Evolution noch schwerst im Gange war, und der Weg zur Menschwerdung halt über Schwänze führt. Aber englisch können die schon, immerhin. Warum auch nicht.
Putzig jedenfalls sahen sie aus mit ihrer blau-in-blau wellig gestreiften Zebrahaut, den blauen Gesichtern einer gedampfwalzten Blue Men-Group, den langezogenen, muskelbepackten gephotoshoppten Figuren, die notdürftig aber ausreichend bedeckt waren.
In der Geschichte ging es um das Übliche. Den bösen und selbstverständlich starken und gierigen Feind, der eine machtvolle Über-Kriegsmaschinerie besitzt und danach lechzt, sie einzusetzen. Denn, und auch das ist das Übliche, er will etwas haben, was er dringend braucht, und die, die es haben, die Guten, leben als friedliche Waldkreaturen in ihrem Märchenwald und haben kein Interesse dran, es herzugeben. Die einen sind rabiate (amerikanische!) Krieger, die anderen naturverbundene Na’vis. Die ersten Settler gegen die Indianer, die Brutalos gegen die liedersingenden, im Tanz sich wiegenden und anspruchslosen Wesen aus der Anderswelt. Goliath gegen David.
Die gierigen Bösen spionieren erst mal die guten Na'vis aus, indem sie eigene Leute vermittels einer parallelen Zeitmaschine metamorphosieren und sie in der Gestalt von Na'vis als Avatare unters Naturvolk entsenden, um sie auszuspionieren. Der so gemorphte Held Jake verliebt sich dann in die Prinzessin der Na'vis, Neytiri, und fortan ist er geläutert und kämpft für sein neues Volk. Die sind leider not amused, weil sie rausfinden, dass Jake zu den Bösen gehört. Was schnell passiert wegen des kleinen Unterschieds: ich sag nur fünf Finger gegen vier Finger. Und Zehen natürlich auch. Aber wie das so ist in Märchen, kämpfen Jake und sein ärgster Widersacher den nötigen Kampf. Und weil im Grunde ihrer Herzen ja beide Gute sind... ach nee, ich will jetzt nicht den ganzen Film erzählen.
Dazu wahrlich bombastische Bilder der imaginären Natur des Mondes Pandora. Sie erinnern ebenso an Gemälde von chinesischen Gebirgszügen, wie auch ein bißchen an die weihnachtliche Beleuchtung von amerikanischen Shopping Malls. James Horner schrieb die Musik - leider nicht nur extrem laut, sondern auch manchmal an afrikanische Stammesgesänge oder andere ethnische Klänge erinnernd - ist omnipräsent und streckenweise schwer zu ertragen. Die Landschaft allerdings ist ein wildes, farbenfrohes, ständig wechselndes Märchenpanorama, in dem ebenso wilde wie farbenfrohe und märchenhafte Dschungelviecher rumtoben, aber letztendlich haben selbst die ein Herz aus Gold und sind den Na’vies Retter in der Not.
Da ich nun eben kein Fan von Fantasy und Sci-fi-Filmen bin, weiß ich auch nicht so recht, wem ich den empfehlen soll außer vielleicht den Fans von solchen. Aber genau da liegt der Hase im Pfeffer, weil es für die ja wohl auch Unterschiede gibt, die ich gar nicht kenne. Bei meinem 15-jährigen Neffen habe ich Video Games auf dem Bildschirm verfolgt, die ähnlich schnell, bunt und unterhaltend waren. Das ist also wahrscheinlich die Zielgruppe, und die Technik-freaks, die SFX-junkies, die Spieler.
Ja, da bin ich mal so richtig aus mir raus gegangen, mit dieser Besprechung. Überbordend wort- und besonders adjektivreich geschmückt, hab ich versucht, an den Bombast des Films heranzukommen. Und noch ein Grund, warum es kein reiner Genuss war, diesen Film - immerhin 160 Minuten lang - zu sehen, war der, dass ich in der dritten - Reihe saß, und dass ich immer noch unter Genickstarre leide
Von den Schauspielern kenne ich eigentlich nur Sigourney Weaver, der ausnahmsweise mal keine häßlichen Aliens aus dem Leib flutschen. Bewusst hab ich die anderen noch nie gesehen. Zoe Zaldana, die die Neytiri spielt, die weibliche Hauptrolle, erinnert allerdings stark an Lara Croft. Aber das ist sicher der reine Zufall.

Sonntag, 14. Februar 2010

Über das Sprechen und das Schweigen

 
Es wird so viel geredet. Von rechts und links wird man zugeschwallt. Es redet, redet, redet. Unwichtige und belanglose Dinge. Die Luft wabert und flirrt von den Stimmen, die unablässig murmelnd an meine Ohren, in meine Ohren (und mit Glück auch mal daran vorbei) flattern. Einen Ohrenfilter wünsche ich mir, der, noch bevor die Geräusche mein Hirn als Worte und Sätze erreichen, den Müll rausfiltert. Ich bilde mir ein, wenn ich nur noch essentielle Nachrichten hören kann, wird es mir besser gehen. Aber das ist sicher nur eine Illusion, ein Wunschtraum.
Es fällt mir immer öfter auf, dass manche Menschen, die wirklich etwas zu sagen haben, lieber stillschweigen. Sie sprechen nicht mehr. Sie bergen Geheimnisse in ihren Herzen und ihren Köpfen, die sie nicht mehr rauslassen wollen. Oder können. Das sind die Alten, die nach und nach sterben. Zeugen einer Zeit, die bereits für die meisten von uns Geschichte ist. Unsere Großeltern sind das, die aufgehört haben, zu erzählen. Aus Angst, aus Schmerz, aus Scham, aus Feigheit, aus Stolz. Bald werden sie alle tot sein und mit ihnen sterben die nicht erzählten Geschichten.
Über meine Familie hatte ich schreiben wollen. Eine sehr große, kunterbunte Familie mit einer kunterbunten, abenteuerlichen Geschichte. Geschichten. Meine Oma und Uroma, das Öhmchen, wussten sie alle. Sie unterhielten sich manchmal flüsternd, wenn sie dachten, ich hör nicht zu. Aber ich hatte meine Ohren überall und bekniete sie, mir alles zu erzählen. Mehr. Einzelheiten. Damals sagten sie das, was sie auch heute noch den Kindern sagen: wenn du älter bist, du bist noch zu klein, du verstehst das noch nicht. Später sagten sie nichts mehr. Sie waren verstummt. Sie wollten nicht mehr über ihre Erlebnisse sprechen. Meine Oma hatte diese Angst, die wie eine chronische Krankheit immer wieder ausbrach. Sie sagte: „Der Hitler ist ja wohl weg, aber die Anderen, die sind noch da. Da bin ich lieber vorsichtig“. Wer „die Anderen“ waren, wollte sie nicht sagen. Als ich sie damals überredete, nein zwang, sich mit mir „Shoah“ anzusehen, ging sie nach einer halben Stunde weinend aus dem Zimmer und wurde noch stummer. Sie ist gestorben als sie über 90 war, mit ihrer Angst und mit ihren Geheimnissen in ihrem Herzen und in ihrer Seele.
Knutt Elstermann war erfolgreicher. Er konnte „Gerdas Schweigen“ brechen. Er hat sie in New York aufgesucht und sie dazu gebracht, mit ihm zu sprechen. Über ihre Vergangenheit. Das ist ein Wunder. Vielleicht hat sie es getan, weil seine Großmutter ihm so viel von ihr erzählt hat. Es ist ihr nicht leicht gefallen, und oft hat sie lange gezögert. Sie hat von dem Kind erzählt, das sie im KZ geboren hat, das gestorben ist, von ihrer Flucht, von ihrem neuen Leben in Amerika, dem neuen Kind, einem Sohn, dem sie nie von ihren Erlebnissen erzählt hatte. Also doch Schweigen. Das Schweigen ist auch eine Krankheit.
Man sollte es lesen, dieses Buch, dieses „Gerdas Schweigen“. Ein Buch über das Vergessenwollen und über das Schweigen. Diese schlimme Krankheit, deren Ansteckung ungebremst grassiert, und die letzten Zeitzeugen werden bald gestorben sein. Und alles wird nur noch Geschichte sein. In Büchern nachzulesen, die niemand mehr lesen will. Und es wird für die heute Zwanzigjährigen so weit entfernt und so unreal sein wie für mich die französische Revolution.
Ich hätte so gerne zugehört. Denen, die was zu sagen hatten. Aber es gibt doch noch welche, die sprechen, und es ist nicht zu spät, denen zuzuhören bevor sie auch für immer schweigen.

Donnerstag, 4. Februar 2010

Gefühlt gefügig

Da habe ich mir in jahrelanger grotesk hirnesker Schwerstarbeit die deutsche Sprache mit all ihren Tücken, Hintertürchen, Regeln, Geboten und Verboten... nein, gefügig gemacht kann ich nicht sagen. Vielleicht eher: ich habe ein Detente erreicht. Grundlage: sie tut mir nix, ich tu ihr nix. Da ich aber - worüber man sich gern mal bei mir beschwert - durch meine eigenen Erfindungen (Notwehr!) ihr - der Sprache - doch was tue mit meinen Versuchen, sie mir wohl in einer mir genehmen Form hinzubiegen, ist dieser Nichtangriffspakt auch nur ein Hirngespinst. Mein Hirn scheint sowieso nur aus Gespinsten zu bestehen, das nur nebenbei.
Jedenfalls kenne ich keine andere Sprache - und ich kenne die eine oder andere - die so lange, geschachtelte Sätze produzieren kann, für deren Verständnis man Stunden, Tage, Wochen braucht. Oder bräuchte, wenn man sich denn wirklich damit befasste, oder - wie ich es gern tu - sie überlese und zum späteren Verstehen in einem meiner spinnwebartigen Gespinste des Hirns zwischenlagere. Allerdings empfinde ich manchmal eine fast masochistische Freude daran, selbst solche Konstrukte zu bauen und die Mitmenschen damit zu verwirren. Zu quälen. Jawoll.
Im echten wahren Leben bin ich jedoch eine glühende Hemingway-Verehrerin. Auf jeden Fall was die Sprache angeht.
Meistens.
Also oft.
Na ja, manchmal.