Montag, 17. Mai 2010

"Masserberg"

Mel ist schön. Mel ist lieb. Mel ist wild. Vor allen Dingen jung und unangepasst. Und krank. Eine schwere Augenkrankheit hat sie in die Einöde von Masserberg verschlagen, wo sich die Klinik befindet, die sich zur verblühenden Blütezeit der DDR als angesagte Adresse für Augenleiden aller Art empfahl.
Mel ist der Sonnenschein der überwiegend alten Patientinnen, mit denen sie ein Mehrbettzimmer teilt. Sie lassen sich gern von der jungen Mel rumscheuchen und aufmuntern. Mel verkörpert Lebensmut und Durchhaltevermögen, freche Kodderschnauze und liebevolle Zuwendung.
Mel hat Fluchtpläne, rübermachen in den Westen, einen Freund, der die Lage ausbaldowert.
Mel verliebt sich in den neuen Klinikarzt, Dr. Sanchez. Sie will haben, was sie haben will und fühlen, was sie fühlen will. Hier kommt die aufmüpfige Mel zum Vorschein, die sich nicht abfinden will. Mit Nichts. Und außerdem kann sie etwas, das für eine so junge Frau ungewöhnlich ist, mitfühlen.
Sie redet der sterbenden Einauge nicht ein, dass alles noch gut werden wird, sondern sie beschafft ihr das geliebte Mandelöl, das sie an ihre „Beinah-Geliebte, Marlene Dietrich“ erinnert. Da ist Betty, die von der Brüstung der Terrasse springen will, die sie ins Leben zurück umarmt. Und als Betty abgeholt und „in die Klapse“ gebracht wird, merkt Mel, dass es vielleicht besser gewesen wäre, sie springen zu lassen. Das ist ein Bild, das mein Herz zerreißt und Tränen in die Augen treibt.
„Was schlimmer ist, als blind zu sein? Blind und einsam zu sein.“ Das ist das Damoklesschwert, das auch über Mel hängt. Das sie vergessen kann, wenn sie sich mit Carlos im Wald trifft. Dieser etwas sperrige, aber zu hübsche Dr. Sanchez, der sich nicht verlieben will, der zu Hause eine Tinka hat, seine blasse aber ehrgeizige Ehefrau, der er sich auch schon mal verweigert. Sie will ein Kind, und sie kriegt es auch. Er macht ihr eins en passant in der Küche.
Nicht direkt unstimmig, aber etwas arg plakativ wird es, als quasi simultan Tinka ihrer Fehlgeburt und Mel mit Carlos im Wald auf ihren Orgasmus zusteuern. Zurückhaltende Unterwasser-Sphärenmusik liegt über beiden Szenarien, und nur eine split-screen Darstellung hätte den Impact überhöhen können.
Die beiden hochdramatischen Momente, die Mel an den Rand ihres Überlebenswillens treiben, werden durch das Lied „Ohne dich“ begleitet. Mels Gefühlschaos von Rammstein untermalt.
Das Schicksal schlägt von allen Seiten ein. Dramagesättigt, der Film "Masserberg", dafür aber auch pralle und kurzweilige Unterhaltung.
Anna Fischer ist eine glaubhafte Mel, rebellisch und zärtlich, tough und weich, aber vor allem durchgeknallt und von ungeheurer Präsenz. All or nothing at all.
Der schöne Dr. Sanchez, Carlos, er ist mir zu glatt und zu schön. Da hatte sich doch der kleine, grünliche Kubaner aus dem Buch tief in mein Hirn eingegraben. Ich glaube, das hätte dem Film den besonderen Kick gegeben: die schöne junge Mel liebt den grünlichen kubanischen Arzt.
Masserberg“ sehe ich nicht als einen der Dennoch-Ostalgiefilme, die eine zeitlang aus allen Ecken quollen: Kuckt mal, wir hatten nix, aber davon satt. Er hat allerdings so ziemlich die ganze Palette Ost-Content, die bei Filmen, die in der DDR spielen, beinahe Pflicht sind: Spitzel, Blockwarte, Maulwürfe, Linientreue, Revoluzzer, Angepasste und Unangepasste. Dass es so ist, muss man erwarten, wenn es um eine Story geht, die in der DDR spielt. Aber die Geschichte hätte überall so ablaufen können. Und hier war die DDR und die Klinik in Masserberg die Kulisse. Und die Verhältnisse die Stichwortgeber. Ein absolutes highlight dann Mels abgefahrene modische statements.
Die Schauspieler gefallen mir. Beinah ohne Ausnahme. Schön zu sehen, dass es eine deutsche Produktion mit soviel Schicksals-Inhalt gibt, die ohne die üblichen Tragikerinnen Ferres, Elsner, Schönbauer und Berben auskommt. Schöne alte Frauen, die gute Maria Simon als „graue Maus“ Tinka. Den hier schon mehrfach bejammerten zu schönen Carlos nehm ich als den üblichen Wermutstropfen. Dazu noch gut bekannte Altmeister des TV-Spiels wie z.B. Ernst Jacobi, Jürgen Heinrich und Oliver Breite. Anna Fischer ist zauberhaft, und ihren kleinen spitzen Augenzahn find ich süß.

Meine Empfehlung: Film kucken am Mittwoch, dem 19.5. ARD 20:15h und dann Buch bestellen und lesen.

Als Vorlage diente der Roman von Else Buschheuer, der auch dieses Jahr im Aufbau Verlag, Berlin, neu aufgelegt wurde