Montag, 29. März 2010

PRECIOUS

„Precious“ ist wuchtig.
„Precious“ ist brutal.
„Precious“ ist stein- und herzerweichend.
Gegen Ende erzählt die Mutter (Mo’nique, Oscar für die beste weibliche Nebenrolle) der Frau vom Sozialamt (Mariah Carey, unerwartet zurückgenommen), dass ihre kleine Tochter „a really precious baby“ war, die mit ihr und ihrem „common law husband“ Carl (Lebenspartner) in einem Bett schlief, bis sie drei Jahre alt war, als Carl seine Tochter zum ersten Mal vergewaltigte. Die Mutter, weinend und schluchzend, kaum fähig, das Schreckliche zu beschreiben: „ ...und dabei hätte ich es sein sollen, die er liebte, die er anfasste und streichelte...“ Inzwischen ist Precious (Gabourey Sidibe) nun 16 Jahre alt und zum zweiten Mal vom eigenen Vater schwanger. Sie sitzt neben ihrer Mutter und hört fassungslos zu.
Zu Hause ist Precious der punching ball. Ihre ebenso faule wie eifersüchtige Mutter behandelt sie wie Dreck. Anstatt sie vor dem gewalttätigen Vater zu schützen, ist sie quasi der verlängerte Arm des Vaters. Und sie beschuldigt die Tochter, ihr den Mann gestohlen zu haben. Precious ist die ungeliebte Dienstmagd, eine Last, hässlich, fett, dumm, zu nichts nütze. Nicht mal kochen kann sie richtig. Und wenn die Mutter angwidert die gekochten Schweinshaxen ablehnt und Precious befiehlt, sie selbst zu essen, dann lässt Precious sich ergeben in einen Sessel plumpsen und stopft das Ekelzeug in sich rein. Wenn Precious nicht sofort gehorcht, schlägt die Mutter rabiat zu. Und Precious schlägt nicht minder rabiat zurück. Gewinner gibt es keine.
Precious’ erstes Kind hat Down Syndrom und lebt bei der Großmutter. Sie nennen es „Li’l Mongo“. Klein Mongo wird herangekarrt, wenn die vom Sozialamt kommen. Damit wird vorgetäuscht, dass das Kind in der Familie lebt, damit sie auch die finanzielle Beihilfe bekommen. Das Kind wird herumgereicht wie eine Kaffeetasse, von der man nicht weiß, wo man sie abstellen soll.
Precious fliegt von der Schule, als sie zugibt, wieder schwanger zu sein. Und ab jetzt geschieht das Unfassbare: Precious findet jemanden, der sich für sie und für ihr Schicksal interessiert, und dafür, dass sie eine Chance wahrnimmt. Sie wird an einer Art Sonderschule für sozial und intellektuell benachteiligte Jugendliche von der engelsgleichen Lehrerin Blu Rain (Paula Patton) unterrichtet und gefördert, bis sie gut genug lesen und schreiben kann, um zur Abschlussprüfung der High School zugelassen zu werden. Der Traum vom College rückt für Precious in eine greifbare, reale Nähe.
Sie bekommt ihr zweites Kind, einen gesunden Jungen, dem sie ein schönes Leben machen will. Ihm und Lil’ Mongo auch. Im Krankenhaus hat sie sich sogar ein kleines bisschen verliebt in Nurse John (Lenny Kravitz).

Doch dann schlägt auch schon die nächste Bombe ein: ihr inzwischen verstorbener Vater hat ihr nichts außer HIV vermacht.
Es ist klar, dass es kein happy-end geben kann. Und dass alle Fragen, die sich selbstverständlich stellen, unbeantwortet bleiben. Ich hab es nicht anders erwartet. Es wird kaum ein Klischee ausgelassen, und trotzdem, trotzdem... die Geschichte – wie soll ich sagen? - grabs you by the balls.

Der Film ist streckenweise schwer zu ertragen. Aber immer, wenn es fast unerträglich wird, wenn sich die Tränen wie von selbst in meinen Augen sammeln, schafft es Precious, ihrer Hölle zu entrinnen - nein, falsch, entrinnen kann sie ihr nicht - ihre Hölle zu überleben. Sie flüchtet sich in ihre schöne bunte Traumwelt, in der sie ein Star ist, beliebt und geliebt und umschwärmt. Ohne diese Traumwelt wäre sie abgestumpft, verkommen und untergegangen.
Die Traumsequenzen sind laut, farbenfroh, fröhlich, mit ihr als strahlendem Mittelpunkt. Die Alltagsszenen blasser - alltäglicher.

Normalerweise sitze ich in den Kinos am liebsten in der letzten Reihe. Da kann ich ungestört mit meiner kleinen Taschenlampe rumfuchteln und Notizen machen, die ich für später brauche.
Diesmal nicht. Da haben sich die Bilder in meinem Hirn festgebohrt. Und die Dialoge sitzen noch immer wie Faustschläge in der Magengrube.

Montag, 22. März 2010

Das erste Mal

Ja ja, da zucken gleich alle zusammen und denken: „peinlich, peinlich, da will ich aber nicht drüber sprechen. Und dann hier, wo alle zuhören, zukucken, mitlesen…“
Aber, um das mal gleich klarzustellen, es gibt gar nichts, das so peinlich ist, dass man nicht drüber sprechen könnte. Weil nämlich jeder von uns und von euch schon mal was ganz wahnsinnig Peinliches erlebt hat. Und überhaupt, diese peinlichen Geschichten sind sich doch alle irgendwie ähnlich. Am peinlichsten ist allerdings dieser Moment, wenn man dringend ein Loch sucht, das sich bitte, bitte auftun soll, damit man sofort und auf der Stelle darin verschwinden kann. Und es tut sich nix auf. Wir ertragen die Pein der Peinlichkeit aufrecht wie richtige Frauen und Männer. Wenn auch mit nem Satz roter Ohren.
Das erste Mal, um das es hier jetzt geht, ist eins, das euch allen, uns allen noch bevorsteht, und das wir alle definitiv und unweigerlich erleben werden. Und das wir nicht üben können. Es kommt auf uns zu. Jeden Moment, jede Stunde, jeden Tag neu.
Es geht ums Älterwerden.
Oooch, das hat doch noch Zeit, denkt ihr. Das lese ich von euren Augen ab. Falsch gedacht. Ihr seid gerade dabei. Jetzt in diesem Moment seid Ihr schon wieder älter als vorhin, als ich hier reinkam.
Ooch, das meint die… is doch pille palle. Und das dauert.
Ja. Das dauert. Ein Leben lang. Und auf dem Weg dahin ist jeder Tag ein erstes Mal.
Und es wird täglich Jemanden geben, der uns sagen wird, wie es geht. Was wir machen müssen, wie wir dieses und jenes zu finden haben. Was wir tun und lassen oder besser machen sollen. Sie werden uns Vorbilder aufzählen, denen wir nacheifern sollen. Denn die leben schon länger als wir, und die wissen, wo’s lang geht. (Ja, es gibt auch Menschen, die leben schon länger als ich).
Mag sein. Aber auch für die gab‘s irgendwann ein erstes Mal. Und für die davor und davor und davor. Und worauf kommt’s an? Darauf, dass wir den Tag überstehen. Mit Anstand, mit Würde, mit Respekt und mit heiler Haut. Ohne Peinlichkeit, wenn‘s geht. Und wenn’s nicht geht, ist es auch nicht so schlimm. Vorbilder helfen. Gute Ideen helfen. Respekt vor anderen Menschen hilft. Jeder Tag eine neue Chance, etwas besser machen zu können als gestern.
Und dann natürlich Würde. Das ist ja das, wovon immer und überall geschwafelt wird. In den Medien und auch in unseren täglichen Unterhaltungen. Das hört man ja besonders oft im Zusammenhang mit dem Älterwerden: in Würde altern.
Um in Würde zu altern, muss man auch sein bisheriges Leben, dem, das vor diesem wirklichen Altwerden kommt, in Würde gelebt haben. Ich kann ja nicht die ganze Zeit unwürdig oder würdelos die Sau rauslassen und dann plötzlich sagen, huch, jetzt werd ich ja langsam alt, Würde komm raus. So funktioniert das nämlich nicht.
Per Grundgesetz ist „die Würde des Menschen unantastbar“. Und jeder Mensch hat seine eigene Würde, da sollte es ja eigentlich kein Akt sein, würdevoll zu leben. Bis ins hohe Alter. Ohne besondere Anstrengung. Es ist ja auch ganz einfach. Man muss nur Gut und Böse, Recht und Unrecht, Moral und Unmoral auseinanderhalten können. Und zur richtigen Zeit das Richtige einsetzen. Und schon klappt‘s auch mit der Würde.
Manche meinen ja, dass es mit Würde zu tun hat, wenn man nicht nur ruhiger und zurückhaltender wird, je älter man wird, sich „angemessen“ kleidet, schminkt, sich nen Beton-Dutt frisiert, kein Rock’n Roll mehr hört, nicht mehr in der Disko abrockt, keine Jeans mehr trägt oder Sneakers oder Dockers.
Bißchen viel wird da von einem erwartet. Soll ich jetzt in Sack und Asche gehen? Im italienischen Witwen-Look, in Schwarz, wie die alten Frauen in den Filmen „Der Pate I, II, III“? Oder mit Rock und Biedermeierbluse und Damenschuhen?
Sollte plötzlich Nena ihren „99 Luftballon“ Song nicht mehr singen dürfen, nur weil sie übermorgen 50 wird? Solang sie das machen will, und solang es Leute gibt, die das hören wollen, ist das doch okay.
Und wer’s blöd findet, schaltet ab. Allerdings gibt’s auch Fälle, wo ich mich dann doch frage, wo die Würde aufhört und das Elend anfängt. Beispiel Cher, die lebende Baustelle.
Mir geht’s ja im Großen und Ganzen nicht viel anders als euch. Euch sagt man auch immer so Sachen wie: „In deinem Alter tut man das nicht mehr“, wenn ihr mal Rotz und Wasser heulen und mit euern Kuschelbären sprechen wollt.
Und mir sagt man genau dasselbe, wenn ich mit den M3-Player-Knöppen im Ohr in der U-Bahn hocke und im Takt mitwackele.
Alter Falter!

Samstag, 13. März 2010

A Soft Spot for a "Crazy Heart"

Inzwischen ist mir auch eingefallen, was „soft spot“ auf deutsch heißt: eine Schwäche haben für etwas. Und ich schwächele ganz schön. Für diesen Film und für Jeff Bridges und für Country Music. Und das war auch nicht immer so, das mit der Country Music. Erst als ich eine Weile in Texas gelebt hatte, entwickelte ich diese Schwäche. Und auch für die Landschaft, in der dieser Film spielt. Die ist mir so gut bekannt. Die Fahrten durch die Wüste zwischen Albuquerque und Santa Fe hab ich unzählige Male gemacht. Und nach Phoenix und Houston auch. So gesehen, könnte ich das glatt einen Heimatfilm nennen. Aber das ist er überhaupt nicht.
Es ist einer, der mir an mein Herz geht.
Dabei ist es so eine abgefrühstückte Geschichte. Alternder Künstler verliebt sich in eine junge Frau, ein bisschen Tragik, ein bisschen Glück. Ein Kind, das man dankenswerterweise völlig unputzig besetzt hat, und die wundervolle Maggie Gyllenhaal, die ebenfalls dankenswerterweise keine dieser hollywoodesken Zuckerschnuten ist.
Jeff Bridges altert schön, uneitel zeigt er seine kleine Plautze, aber er hat auch immer noch einen netten Knackarsch.
Robert Duvall in einer schönen, sehr kleinen Nebenrolle.
Soulig bluesige Country Music von T-Bone Burnett, fast mehr Blues als Country. Country SoulBlues.
Das ist alles drin im Film, aber das allein macht es nicht aus, dass er mir gefiel und ans Herz ging.
Bad Blake (Jeff Bridges), ein Country-Sänger auf dem Weg nach unten, ach, was heißt auf dem Weg – er ist schon da - tingelt in drittklassigen Spelunken, aber seine Zeitgenossen, bekennende Fans, erkennen ihn immer noch und kommen, um ihn und seine Fender Gitarre zu hören. Und ob im Vollsuff oder nicht, er ist immer noch gut. Aber er ist eben Alkohliker, Kettenraucher, und muss ab und zu während eines Gigs mal eben raus, in die Mülltonne kotzen. Danach putzt er die Grütze von seiner Sonnenbrille ab und marschiert wieder rein und spielt besoffen weiter. Ein hard-core Profi.
Er lernt die junge Jean Craddock (Maggie Gyllenhaal) kennen, eine Journalistin, die für die Santa Fe „Sun“ ein Interview mit ihm will. Sie ist die geschiedene Mutter des unniedlichen vierjährigen Buddy (Jack Nation), über den letztendlich auch die Beziehung, die sich zwischen Bad und Jean entwickelt, scheitern wird. Aber nicht allein daran. Er ist 57, er ist kaputt und zu dem Alkoholismus und der verquarzten Lunge hat er auch noch Krebs. Die Art, wie er diese Nachricht im Krankenhaus nach einem Autounfall entgegennimmt, lässt vermuten, dass er das mit dem Krebs schon wusste. Spätestens an dieser Stelle wird klar, dass es kein happy-end geben wird.
Die Krankheiten werden ihn umbringen noch bevor das Leben es kann.
„This ain’t no place fort he weary kind“
Andererseits gibt es doch so eine Art happy-end, denn Bad trifft eine Entscheidung. Eigentlich mehrere. Zu retten ist er nicht mehr, aber er hat sich auf seine Weise gerettet.

Montag, 8. März 2010

Nachtlese - Nachlese - The Night at the Oscars

Als ich dann gestern von der backstage party oder aftershow party oder wer-geht-noch-irgendwo-mit-hin party kam, war ich einfach zu alle, um zu checken, dass ich ja noch ganz wahnsinnig wichtige events vergessen hatte zu erzählen oder durch Bilddokumente zu belegen.
Heut ist is ja sicher zu spät, denn sämtliche Zeitungen werden voll davon sein, aber da hab ich mir nun die Mühe gemacht und all die Fotos hochgeladen und mir die Finger wund getwittert, da liefer ich doch gern die Bildchen nach, zu denen gestern keine Zeit mehr war. Und ich bin noch zu schlapp, um diese tonnenschweren Papierbündel hochzuheben.
Und außerdem hab ich ja total verschwitzt, die Sandra Bullock zu erwähnen,

da war ich sicher wieder im Vestibül und bin dem Dings oder dem Bums nachgejagt.
Mein Gesamteindruck vom Event war schon der, dass man an allen Ecken und Enden gespart hat. Nur die Stare und Starinnen waren glamourös, die Feier als solche hatte nicht die Opulenz der früheren Jahre. Vielleicht liegts aber auch an den Filmen? Die aber werden immer aufwendiger. Ich denk da nur an „Avatar“, der war ja nun nicht grad auf der Schrotthalde zusammengeschustert.
Kann auch nicht schaden, wenn die Academy Awards people mal auf die Groschen kucken, und das überschüssige Geld sinnvoller einsetzen. Schließlich backen die Bambis und Filmpreises und was nicht alles auch etwas kleinere Brötchen. Hier, in Euro-Land. Krise ist überall.
Diesen Film „Precious“, von dem ich einen längeren trailer gesehen hab, und der von Oprah Winfrey sehr gesponsort wurde, hätt ich ja gern gesehen. Aber wo läuft der jetzt? Auf den Zettel damit.

Und dann fiel mir noch auf, dass es ja wohl ein schöner Zug war (oder eine fiese Stichelei?), dass Barbra Streisand den Oscar für die beste Regie an Kathryn Bigelow überreichen durfte, wenn man bedenkt, dass sie ja mal für „Yentl“ nach dem Preis lechzte. Damals hat sie „nur“ den Golden Globe für ihre Regie bekommen, und für den Oscar war ihre Regiearbeit gar nicht erst nominiert worden. Da hätte sie dann die erste Frau mit einem Oscar für die beste Regie sein können. Aber nebbich. Nu isse zumindest Überreicherin an die erste Regisseurin. Is ja nich nix.

Und ob ich mir den „The Hurt Locker“ antue? Der klingt schon sehr, sehr nach wehtun. Und menschliche Bomben und überhaupt Krieg – nicht so mein Thema. Aber es gibt ihn ja, wenn man täglich davon im Radio hört, im Fernsehn sieht, dann sollte das eigentlich genügen. Allerdings hat sich eine Frau, Kathryn Bigelow, mit dem Thema künstlerisch auseinandergesetzt, und allein das wär es schon wert, zu schauen, was sie gemacht hat.
Also, auf den Zettel damit. Things to do.
„Crazy Heart“ kommt auf meinen Zettel, weil ich ja einen weichen Fleck hab im Herzen für die Country Sänger. Heißt das so? To have a soft spot for something?
Auf jeden Fall hab ich jetzt eine weiche Birne und freu mich auf mein kuscheliges Bett im Zwergenheim.