Freitag, 12. November 2010

Somewhere

Normalerweise aktivieren Aussagen wie: „Ein leiser, kleiner Film“ sofort meine Würgereflexe. Hier nicht. Und dieser Sofia Coppola-Film IST ein leiser Film. Es wird wenig gesprochen. Und auch wenig gesagt. Es wird so vor sich hin gelebt ohne Ziel, ohne Zweck und ohne erkennbaren Sinn.
Da sind also Johnny Marco (Steven Dorff), ein angesagter Hollywood Beau und einige Menschen, die sein leeres Leben zeitweise bevölkern. Sein Apartment im Hotel Marmont ist eine Art Durchgangsbahnhof. Die Menschen, die er kennt, die ihn kennen – beruflich – kommen und gehen, manchmal sagen sie was, es ist bedeutungslos. Johnnys Leben ist bedeutungslos. Man sieht ihm zu, wie er mit seinem schicken Ferrari im californischen Hinterland mit viel Getöse seine Runden dreht. Man sieht ihm zu, wie er sich damit beschäftigt, vor dem Fernseher zu sitzen und fernzusehen. Wie er sich damit beschäftigt, über den Darbietungen von Pole Dancers, Call Girls und Zufallsbekanntschaften einzuschlafen. Es sieht aus, als schliefe er ein, als man von seinem Gesicht einen Gipsabdruck macht. Die Kamera hält reglos auf seinen gipsvermatschten Kopf. Er ist gefangen, eingemauert, in bedrückender Einsamkeit.
Hier und da trifft er sich mit seinem Stab, die erzählen ihm, wo er hin muss, was er sagen muss, alles kurz und ruhig, und weg ist er wieder. Kein bisschen Hektik.
An einem dieser ereignislosen Tage ist seine elfjährige Tochter Cleo willkommener Besuch. Zum ersten Mal merkt man, dass er sich wirklich für etwas, für jemanden interessiert. Er sitzt hinter der Bande und sieht zu, wie Cleo elegante Figuren auf das Eis kratzt. Man erkennt, dass er sich auf sie einlässt, sich mit ihr beschäftigt, und dass ihm die gähnende Leere seines Alltags eins auf die Zwölf gibt. Die väterlichen Besuchstage weiten sich plötzlich aus, als seine geschiedene Frau Layla das Kind eines Tages bei ihm abstellt und „auf ungewisse Zeit“ verschwindet. Sie „muss mal weg“, sie weiß nicht, wann sie wiederkommt.
Also bindet Johnny Cleo ohne sichtbare oder spürbare Aufregung in sein Leben ein, das dadurch plötzlich Inhalt bekommt. Auch auf der Reise zur italienischen Preisverleihung ist sie dabei. Alles läuft smooth. Sie haben eine gute Zeit miteinander, sie mögen sich. Cleo macht alles mit, Cleo ist cool. Nur einmal bricht ein Tränenschwall aus ihrem kleinen Kindergesicht. Sie vermisst die Mutter und hat Angst, dass sie vielleicht nie wiederkommt.
Cleo wird gespielt von Elle Fanning, der kleinen Schwester von Dakota Fanning aus „I am Sam“. Ein sanftes Kind, ein begabtes Kind. Steven Dorf als Johnny Marco ist mir bisher noch nie aufgefallen, und das gleiche gilt für die Schauspielerin, die Cleos Mutter Layla spielte, deren Namen ich nicht mitbekommen habe.
„Somewhere“ ist kein Film mit besonderen Höhen und Tiefen. Ach doch, vielleicht mit einer Tiefe. Mit dem tiefen Abgrund der Einsamkeit. Er ist auch ein bisschen biografisch. Ich kann mir vorstellen, dass Sofia Coppola - als Tochter des Regisseurs Francis Ford - das Hollywoodleben mit seinem Glitz and Glam von Kindesbeinen an kennt.
Der Film erinnert natürlich an „Lost in Translation“. Einsamkeit auch hier. Das könnte das Thema der Frau Coppola werden. Mir gefällt, wie sie das in Bilder verwandelt. Eindringlich.
Wer Action, Humor, Liebe, Lust und Leidenschaft erwartet, sollte nicht hingehen.
Und sobald das Röhren des Ferrari-Motors verendet, ist es wirklich ein leiser Film.