Samstag, 28. Januar 2012

The Artist



„We didn’t need dialogue, we had faces“ sagte die unvergessliche Gloria Swanson in ihrer Rolle als Norma Desmond in „Sunset Boulevard.“
Die Stummfilm-Ära ca endete 1929, und nicht alle Stummfilmstars schafften den Sprung zu den „talkies“.
„Wir brauchten keine Dialoge, wir hatten Gesichter“
Wie wahr, wie wahr!
Und was für Gesichter!
Und was für gar keine Dialoge!
Und was für ein Abenteuer, welch tollkühne Idee, in unseren Zeiten der gigantomanischen Farb- und Ton 3D-Mega Dolby Surround Spektakel, in denen sich um Kopf und Kragen geredet, geballert, die Füße wund getanzt und die Kehle heiser gesungen wird, einen Stummfilm zu drehen, und dann auch noch in schwarz-weiß!
Ob Bedenkenträger den Regisseur Michel Hazanavicius gewarnt haben, als er mit der Idee zu „The Artist“ schwanger ging: Tu das nicht, das ist ein Risiko, das will keiner sehen, das ist rausgeschmissenes Geld? Wenn das so war, hat er alle Warnungen in den Wind geschlagen und einfach seinem Gefühl nachgegeben. Welch ein Glück, dass er das Wagnis eingegangen ist. Es ist ein wunderbarer Film geworden. Ein bewegender, inspirierender und sehr unterhaltsamer Film über das Hollywood während des Übergangs zum Tonfilm, vor dem großen Börsenkrach. Ein bisschen Melodram, ein bisschen Romanze, und sehr viel Augenweide.
Box Office Star George Valentin (Jean Dujardin) ist der geschniegelte Charmeur des Stummfilms. Sein fein ziseliertes Oberlippenbärtchen und das breite Grinsen darunter erinnert an Clark Gable, Melvin Douglas oder John Barrymore.
Valentin ist selbstverliebt, charismatisch aber auch ein wenig schlicht gewebt, und er übt sein strahlendes Lächeln vor dem Spiegel. Sein Publikum verehrt ihn. Er ist die Rampensau, die niemals daran denkt, dass sein strahlender Stern je untergehen könnte.
Er prallt im wahrsten Sinne des Wortes auf die aspiring actress
Peppy Miller, gespielt von der hierzulande wenig bekannten Argentinierin Bérénice Bejo, der Ehefrau des Regisseurs Michel Hazanavicius. Ihr Gesicht ist in jeder Szene lesbar wie ein offenes Buch. Sie ist fröhlich und unbekümmert, besorgt und liebevoll, zutraulich und voller Hingabe. Natürlich verliebt sie sich in den großen Star. Das muss so in diesen Filmen.
Während sich das Sternchen Peppy langsam aber sicher in einen leuchtenden Stern verwandelt, kommt schleichend aber sicher die große Wende im Hollywoodianischen Filmzirkus: der Tonfilm. Aber George Valentin erkennt die Zeichen der Zeit nicht, er glaubt nicht daran, dass der Tonfilm eine Zukunft haben kann. Wir wissen ja, wie sich das entwickelt hat.
Jedenfalls macht George nicht mit, bei diesem neumodischen Firlefanz. Er will nicht sprechen. Er dreht auf eigene Faust einen Film, stumm natürlich, ein Flopp natürlich.
Von nun an geht’s bergab. Für Peppy hingegen geht’s weiter steil bergauf, denn sie redet und tanzt, dass mein Herz und meine Sinne mittanzten.
Valentins Untergang ist nur noch eine Frage der Zeit. Kurzer Zeit. Ab hier nimmt der Film den Verlauf, den wir von einer melodramatischen Romanze erwarten, und es ist einfach schön. Natürlich vorhersehbar. Das will man ja auch. Das war das erklärte Ziel der Filmemacher. Zum Schluss gab es ein Happy End. Das erwarteten die Zuschauer und bekamen es. Und das war gut so.
Hier ist vor allem von Bedeutung, WIE das gemacht wird. Wie herrlich diese Geschichte erzählt wird, stumm erzählt wird. Mit dieser etwas überhöhten Darstellung von Emotionen durch Gestik und Mimik, die gewisse Szenen herausheben. Mit dramatisch anschwellender Musik (Anleihen bei Hitchcock, der ja mit crescendierenden Musikeinsätzen Höhepunkte seiner Filme markierte), die die Dramatik unterstreicht.
Ganz besonders beeindruckt haben mich die Passagen, in denen der runtergekommene Valentin sich in seinem Zimmer die alten Filme anschaut, besoffen. Neben ihm in einem Kasten eine Batterie leerer Flaschen. Er steht auf, und sein Schatten wird vom leerlaufenden Projektor an die Wand geworfen. Zur anschwellenden Musik reißt er sämtliche Filmrollen aus den Dosen im Regal, zündet sie an und scheint bereit, ebenfalls in Flammen aufzugehen. Aus der drohenden Katastrophe erwächst das ersehnte Happy End.
Die Besetzung ist ideal. Ich hatte niemals zuvor von Jean Dujardin oder Bérénice Bejo gehört, aber ich werde sie nie wieder vergessen. Penelope Ann Miller ist Valentins genervte Ehefrau mit dem genau richtigen Maß an Verachtung und Irritation. John Goodman, der natürlich auch international bekannt ist, als Studioboss, James Cromwell als Butler: Volltreffer.
Es ist ein Film, der mich froh gemacht hat.
Der bestätigt hat, warum ich Schwarzweiß-Filme liebe.
Den ich mir bestimmt noch einmal ansehen werde.