Sonntag, 7. Oktober 2012

"Liebe" ein Film von Michael Haneke

Es ist nicht die Pflicht, es ist Liebe. Es ist nicht die Verantwortung, es ist Liebe. Es ist keine Bürde, es ist Liebe. Es ist die Seele. Da wohnt die Liebe. Ist es nicht absurd für eine wie mich, die Religionen, Gottheiten und Anbetungen jeder Art ablehnt, gerade an so etwas ebenfalls Unsichtbares wie Seele und Liebe zu glauben? Ich habe den Film vom Lieben und Sterben von Michael Haneke gesehen. „Liebe“. Der hat mich überwältigt. Das gelingt nicht vielen Filmen. Bei „Funny Games“ , „Die Klavierspielerin“, „Das weiße Band“ und jetzt eben „Amour“ war das so, aber in einer anderen Weise. Wenige Tage vorher hatte ich „Late Bloomers“ (von Julie Gavras, der Tochter des bekannten Costa) gesehen, und ich war etwas enttäuscht. Wie das oft so ist, wenn man hohe Erwartungen hat. Rosselini und Hurt mimten das sixty-something Ehepaar, das sich mit der (unwillkommenen) Hilfe ihrer drei erwachsenen Kinder auf „das Alter“ vorbereiten will. Diesen Film will ich ja hier gar nicht besprechen, nur soviel: Klischees wo man stand und ging. Eine hollywoodeske „sind wir nicht alle im gleichen Boot“ Märchenstunde über das Altwerden und das Töpfern und „sich ehrenamtlich einbringen“, mit schwachen Leistungen der beiden von mir sonst sehr geschätzten Darsteller. Nun also „Liebe“. Jean Louis Trintignant und Emmanuelle Riva, beide über 80 (im Film wie im wirklichen Leben) spielen das alte Ehepaar Anne und Georges, das in den vielen Jahren miteinander verwachsen ist, und doch stets separate Persönlichkeiten geblieben sind. Vertrautheiten, Rituale, Symbiose. Aber auch immer noch der kleine Flirt, das Kompliment des Mannes an seine geliebte Frau. Obwohl man im ganzen Film nicht „Ich liebe Dich“ hören wird, spürt man sie, die Liebe. Es geht ihnen gut, den beiden. Musikprofessoren, deren Glück es ist, in Konzerte zu gehen, ehemalige Schüler – nun erfolgreiche Künstler – zu Hause zu empfangen, alte Platten aufzulegen. Es gibt eine Tochter, wunderbar gespielt von Isabelle Huppert, die ihre eigenen Sorgen hat, in ihrem eigenen Universum. Man ist eben über 80, einem Alter, in dem man weiß, dass es nicht mehr allzu lange dauern wird, das ewige Leben, von dem wir alle so tun, als gäbe es das. Glücklich die, denen gute Gene geholfen haben, ohne große Zipperlein bis dahin zu kommen. Dann geschieht es, eine kleine, Sekunden dauernde, Episode, in der Anne einen Aussetzer hat. Sie ist besorgt und lässt sich untersuchen. Eine Operation misslingt, und sie bleibt auf der rechten Körperseite gelähmt. Dabei bleibt es leider nicht. Sie erkennt, dass es auf das Ende zugeht. Anne beginn – zum ersten Mal seit Jahrzehnten, wie es scheint – in alten Fotoalben nach Erinnerungen zu suchen. Ihr Zustand verschlechtert sich rapide. Georges umsorgt sie. Voller Liebe, die spürbar zu jeder Zeit in allen Handlungen präsent ist. Das Gefühl der Gewohnheit kann gar nicht aufkommen, denn alles ist neu für Georges. Keine Arbeit ist ihm zu viel, auch die unangenehmen übernimmt er mit liebender Hingabe. Aber er ist über 80, er ist irgendwann überfordert. Er stellt eine Pflegerin ein, die natürlich keinen Bezug zu Anne hat, und ihre Arbeit routinemäßig verrichtet, lieblos, unpersönlich. Georges feuert sie und sagt ihr deutlich, was er von ihr hält. Was ich an Hanekes Filmen besonders mag, ist, dass er nie sentimentalen Brei zusammenrührt. Keine Träumereien über den schönen, gemeinsamen Abgang. Kein Ritt in den Sonnenuntergang. Kein friedliches Hinübergleiten in eine „bessere Welt.“ Der Anfang des Films ist das Ende des Films. Der Schock kommt sofort, ohne Vorwarnung. Allerdings trägt er uns bis zum Ende der erzählten Handlung. Es ist ja nicht so, als hätten wir nicht gewusst, dass auch dieses Leben, Annes, zum Tode führen wird. Und das von Georges auch. Er wird derjenige sein, der übrig bleibt am Ende dieses Films. Allein, das darf vermutet werden. So ist das nämlich, am Ende sind wir allein, auch wenn da jemand das Händchen hält.