Samstag, 21. Februar 2015

"Boyhood" - Oscars, die dritte...


Das war im Sommer 2014 ein euphorisch bejubelter Film, so einmalig, so wundervoll, so großartig... und für mich leider auch so langweilig.
Diese „coming of age“ Filme haben gern was herziges, wenn nicht gar zu Herzen gehendes.
Im Grunde ist es eine Langzeit-Doku, weil es veritable Schauspieler sind, die innerhalb der 12 Jahre Drehzeit jedes Jahr für zwei Wochen vor Regisseur Linklaters Kamera standen. Deren Entwicklung verfolgen wir von Kindheit zur Jugend, von Ehe bis Scheidung und für den „boy“, um dessen boyhood es geht, seinen Weg bis zum College.
Nun ist die Veränderung von Kindern zu Erwachsenen nicht nur optisch dramatischer, aber man erkennt natürlich auch, wie Patricia Arquette und Ethan Hawke – nun ja, sich eben auch weiter entwickeln und verändern.
Das macht inzwischen ja jede dritte Familie so: Geburten, Einschulungen, Schulabschlüsse aller Art, Hochzeiten und sogar Beerdigungen werden für die familiäre Videothek festgehalten. Soweit, so kein Megaereignis.
Für Richard Linklater war es vermutlich eine größere Herausforderung wenn er die Darsteller ein ganzes Jahr lang nicht gesehen hatte, die Story weiterzuentwickeln. Insbesondere, weil er seinen vier Hauptakteuren verhältnismäßig freie Hand gelassen hatte, ihre Geschichten selbst fortzuschreiben. Trotzdem hatte er einen – wenn auch weiten –Rahmen vorgegeben. Diese Beteiligung der Darsteller über 12 Jahre gibt diesem Film schon etwas Besonderes.
Das ist alles hübsch anzusehen. Allerdings verläuft das Leben dieser Protagonisten im Grunde nicht anders als das anderer Figuren in anderen Filmen, wo der Alterungsprozess durch die Maske hervorgerufen wird.
Aber dennoch: Schöne Idee, gute Schauspieler, unerhebliche Handlung. Ach übrigens, entgegen der landläufigen Meinung fand ich Lorelei Linklaters (Tochter des Regisseurs) Leistung die bei weitem größere, viel eindringlicher als die des Ellar Coltrane als Mason, dem Titelgeber. Aber das ist sicher Geschmacksache. Wie alles, was so über die Leinwände flimmert.
Was die Oscars angeht: Best Picture muss wirklich nicht. Arquette und Hawke für Best Supporting Actor/Actress muss auch nicht.
Best Director für Linklater... nojo, da setze ich ja ganz hoffnungsfroh auf „Birdman“.

"Selma"



Unterm Strich ist das ein gut recherchiertes und sehr gut in Szene gesetztes Zeitdokument. Die Märsche der unterdrückten schwarzen Bevölkerung von Selma nach Montgomery – tiefer Süden. Zwei Versuche, die brutal niedergeschlagen wurden, und der dritte, der dann unter Polizeischutz sein Ziel erreichte. Dazu mussten aber erst Martin Luther King jr. und Präsident Johnson ein Machtwort sprechen, sonst wäre der dritte Marsch genau so gescheitert, wie die beiden anderen davor.
Von 15.000 Schwarzen hatten genau 130 (hundertdreißig!) das Wahlrecht. Damals, 1961, war Selma Verwaltungssitz des Dallas County. Das gesamte County hatte 57% schwarze Bewohner. Wegen besonders stringenter Auflagen, die man eigens für die Schwarzen implementiert hatte, hatten also 14.870 Bürger kein Wahlrecht. Geringverdiener und Analphabeten hatten keine Chance, sich als Wähler anzumelden. Das Bildungssystem vernachlässigte die schwarze Bevölkerung.
Und da irgendwann die Hutschnur mal reißt, machten immer mehr schwarze Bürger ihrem Ärger Luft. Sie veranstalteten Demos. Das gehört zwar zum Bürgerrecht, aber in den Zwergkönigreichen der Counties im tiefen Süden wehte der Wind von einer anderen Seite, und zwar von einer sehr brutalen und rücksichtslosen. Da hatten Schwarze keine Rechte und die weißen Sheriffs die Hand immer am Knüppel oder an der Knarre und zögerten auch nie, diese Waffen – inklusive Springerstiefel - einzusetzen. Dem Ku-Klux-Klan kam das gelegen. Sehr viel geändert hat sich da leider eigentlich noch nichts. Heute wird der Rassismus zwar überwiegend verdeckt ausgeübt, aber er ist immer noch sicht-, hör- und spürbar.
Der Film „Selma“ beschreibt die damalige Situation, die menschenunwürdige Behandlung durch Polizei und Stadtoberste, und die Märsche, bei denen es Schwerverletzte gab, detailliert und geschichtsgetreu wie eine Doku. Ich mag ja Dokus. Das ist gut recherchiert, gut inszeniert und sehr gut gespielt. Es ist – trotz des traurigen Themas – ein schöner und sehenswerter Film.
David Oyelowo (schon durch „The Butler“ bekannt geworden) spielt die Rolle des Martin Luther King jr. hautnah, Carmen Ejogo seine Frau. Regie führte Ava Du Verney, die übrigens als erste schwarze Regisseurin für einen Golden Globe nominiert war, ihn aber leider nicht gewann. Die ebenfalls nominierte Musik für diesen Film von Common und John Legend hatte mehr Glück, und der Titel „Glory“ gewann ihn.
Für einen Oscar wurde nur der Film selbst in der Kategorie „Best Picture“ nominiert. Ob da was draus wird? Ich fürchte fast nicht.
Unterm Strich ein sehr sehenswerter Film.
Eine Nominierung für David Oyelowo hätte ich begrüßt, aber mich fragt ja nie einer. Man muss aber – eingedenk der hohen Dichte wirklich guter Filme – nicht immer gleich Rassismus seitens des Oscar-Gremiums vermuten, wenn ein rassenspezifischer Film nicht nominiert wird. Es wurden doch immer wieder welche mit dieser Thematik nominiert und gewannen auch (siehe „Twelve Years a Slave“). Allerdings sind rassistische Tendenzen – wie versteckt auch immer - nicht von der Hand zu weisen.
Es stimmt auch, dass die stimmberechtigten Mitglieder vornehmlich alte, weiße Männer sind. Frauen sind in den wichtigen Ämtern sehr dünn gesät, schwarze Frauen erst recht.
Muss man wirklich warten, bis die alte Manschaft von hinnen nach dannen gegangen ist, ehe sich da mal was ändert?
Times they are a’changing, folks! I vote for more women, more members of color, less tight-assedness to move up to meaningful memberships.

 

Freitag, 20. Februar 2015

Oscarvorschau durch meine Glaskugel



Oscars 2015
Wie jedes Jahr habe ich im Januar meine magische Glaskugel vom Dachboden geholt um sie zu befragen, wie es denn wohl mit der Verteilung des nackten goldenen Männleins bestellt sei.
Wie immer habe ich mich ja, geopfert, und mir schon einige Werke angeschaut, aber „über mich ergehen lassen trifft es in den meisten Fällen besser. Zu meiner Erleichterung liegt heuer auch keine Einladung des Cousins in da bizness vor, aber er hat mir wenigstens einiges Material geschickt.
Eines kann ich euch heute schon sagen, reine Freude war das in den wenigsten Fällen. Ich fang mal mit meinen Nieten an und steigere mich bis zum Endjubel für meinen Favoriten.

Wild
Ein Film, dessen Eröffnungsmonolog aus drei Wörtern besteht: "Fuck you, bitch", lässt mich gern hoffen, dass es im weiteren Verlauf  nicht zu einer Quasselorgie kommt. Allerdings möchte ich auch nicht einem Stummfilm beiwohnen, dessen gesamte Handlung nur von Musikfetzen begleitet wird . Hier ist das Haupthema Schicksalsschlagbewältigung, aber das vor einer wahrlich bombastischen Kulisse, dem  Pacific Crest Trail im Westen der USA. In 115 Minuten werden wir einen Teil davon bewundern dürfen ebenfalls im zerfetzten Schnelldurchgang.
Forrest Gump durchquerte die Vereinigten Staaten von Ost nach West ohne Gepäck, lernte Leute kennen, grüßte freundlich und erfand das Smiley. Das war lustig.
Cheryl Strayed (Reese Witherspoon) beschloss, nach ihrer Scheidung und dem Tod ihrer Mutter zur Selbstfindung und Verarbeitung dieser Einschnitte in ihr Leben auf Wanderschaft zu gehen. Aber natürlich nicht das gemütliche Schlenderwandern, das ich gelegentlich um reizende kleine Seen exerziere, nein, richtige out back Wanderungen, mit Stiefeln und Rucksack, Zelt und Gaskocher. Wir sehen, wie sie mehrmals übt, den überlebensgroßen Rucksack so zu schultern, dass sie nicht mit ihm hintüber kippt, aber alles andere hat sie nicht geübt. So wird man Zeuge, wie sie ihr Zelt nur unter Mühen nach häufigen Fehlversuchen endlich aufstellt. Das mit dem Gaskocher klappt auch nicht so. Und weil der Weg ja auch steinig und schwer ist, fährt sie dann auch gern mal per Anhalter einige Meilen über die Highways. Sie trifft Leute, schläft in Berghütten oder mit Männern und pflegt ihre Blasen.
Die eingangs erwähnten Musikfetzen irritieren, die hunderte von flash backs (die ich ja sowieso nicht so mag) irritieren noch mehr. Kaum fängt mal eine Minihandlung an, bämm flashback 30 Sekunden und weiter gehts on the road again.
Vermutlich war es für Cheryl Strayed eine hilfreiche Erfahrung, über ihre Scheidung und den Tod der Mutter reflektieren zu können. Selbstheilung sagte sie, war ihr Ziel. Der Film basiert auf ihren Memoiren, und Nick Hornby hat das Drehbuch geschrieben.
Für Oscars sind Reese Witherspoon (Best Actress) und Laura Dern (Best Supporting Actress) nominiert.
Leider konnte ich das Therapeutische an der Wanderung nicht nachempfinden, die flash back Fetzen waren dabei nicht hilfreich. Das verlor an Wirkung wegen der häufigen cuts, die Heilung für mich als Zuschauer nicht nachzuvollziehen. Aber man hat mir gesagt, dass es so war, also war es wohl so. Außerdem gehört Frau Witherspoon nicht zu meinen topfavorisierten Darstellerinnen. Auch Derns Leistung war durch diese Methode zerrissen, ist nicht aus einem Guss. Das war für mich das Bedauerlichste.
Von mir kein Oscar für nix.

The Imitation Game.
Das bereits anderweitig öfter mal verfilmte Thema der Dekodierung des Verschlüsselungssystems Enigma, mit dem die deutsche Wehrmacht im II. Weltkrieg geheime Botschaften über ihre Angriffsstrategien durchs System jagten.
Da kommt nun Alan Turing, ein genialer Mathematiker und Analytiker, der britischen Regierung grad recht, um sich des Themas anzunehmen. Das tut Turing (Benedict Cumberbatch) mit Genialität und verbissenem Eifer und führt nach vielen Irrungen und Wirrungen auch privater Natur zum Erfolg. Sein Privatleben war nicht wirklich Thema des Films, aber es wurde en passant erwähnt, dass er wegen des gesetzlichen Verbots homosexueller Beziehungen ein isoliertes Privatleben führte. Das ist nun kein rasend spannender Spy-Film, aber ordentliche britische Verarbeitung eines Kriegserlebnisaufarbeitungsdramas. Am Ende, so ganz stickum im Abspann, wird dann noch vermerkt, dass die Queen, die Gute, Turing 2013 post mortem begnadigt hat. Huch? Welche Gräueltat hat er sich zu Schulden kommen lassen? Ach so, ja, er war schwul! Herrgottsakra... das hat ihn offenbar nicht daran gehindert, genial zu sein, und die Regierung hat solang weggeschaut, bis er Enigma entschlüsselt hatte.
Homosexualität war in England bis 1967 strafbar. Verurteilt wurde Turing 1952, da war der Krieg vorbei und es gab nix Essentielles mehr zu dechiffrieren. Oder es war schon Nachwuchs da. 1954 beging Turing Selbstmord. Machte sich jemand im Königreich Vorwürfe? Und schon kommt die olle Queen um die Ecke und begnadigt ihn. Großes Kino.
Der Film ist für Best Picture nominiert. Streicheleinheit für Homosexuelle? Über solche Gesten sind wir doch inzwischen lang weg. Dann noch Keira Knightley Best Supporting Actress und Morten Tyldum Best Director.
Cumberbatch ist für den Best Actor nominiert. Nojo, optisch gab er durchaus den Nerd her, überzeugend gespielt. Gäbe es nen Oscar in Bronze, würde ich sagen, kann er haben. Aber so? Och nö.

The Theory of Everything
Hier ist es also, mein erstes highlight! Ein Bio-pic über Stephen Hawking, einen der berühmtesten Physiker unserer Zeit. Hervorragend gespielt von Eddie Redmayne, verhältnismäßig frisches Gesicht im Kino.  Es geht um eine gefühlvoll aber nicht duselige Liebesgeschichte, in die der Werdegang Hawkings und seine Thesen ...smooth... eingeflochten werden. Mir fehlten irgendwo Übergänge. Plötzlich und ohne Vorwarnung war er nicht mehr mit Jane verheiratet. Aber es war dann ein Elaine Mason da, die ihn betreute. Es wurde nicht näher thematisiert, ob sie ihn geheiratet hat, aber da der Film auf den Memoiren von Jane Hawking basierte, wird sie diese Phase nicht so ausführlich beleuchtet haben. Immerhin ging es in ihrem Buch ja um ihr Leben mit Hawking, aus ihrer Sicht also alles abgedeckt. Sehr gutes Entertainment.
Nominiert für Best Picture, Eddie Redmayne für Best Actor, Felicity Jones für Best Actress.
Eddie Redmayne hat den Hawking prima hingekriegt. Best Hawking impersonation ever. Dafür nen Orden am Bande, meinetwegen ein güldner.
Aber Oscar? Ick weeß nich. Muss ja nicht direkt jeder Film, der besser ist als standard Hollywood-Schmonzes, mit nem Oscar gekrönt werden.

Birdman - (oder die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)
Das isser! Mein Favorit. Für ALLES. Oscars inklusive. 11 Nominierungen. Jawoll. Darf er haben. Andererseits find ich es immer etwas ungerecht, wenn ein einziger Film so überschüttet wird.
Schwarze Komödie von Alejandro G. Iñárritu (dessen Biutiful ich schon liebte), die von Anfang bis Ende reinhaut. Er erzählt die Geschichte des abgehalfterten Schauspielers Riggan Thompson (Michael Keaton), der seinem vergangenen Ruhm als Comic-Held Birdman nachtrauert. Allerdings hatte er eine Bindung an diese Rolle entwickelt, die inzwischen sein Leben kontrolliert. Um seiner ermatteten Karriere wieder neuen Schwung zu geben, beschließt er, die Kurzgeschichte von Raymond Carver What we talk about when we talk about love ins Theater zu bringen, von seinem Freund Jake (Zack Galifianakis) für die Bühne adaptiert. Allerdings verunfallt kurz vor der Premiere ein wichtiger Nebendarsteller, der dann durch den erfolgreichen Theaterschauspieler Mike Shiner (Ober-Highlight: Edward Norton) ersetzt wird. Shiner ist allerdings keiner, der sich was sagen lässt, er macht lieber selber Ansagen. Er zeigt Riggan halt mal eben, wo der Frosch die Locken hat. Zu all dem Hickhack mit Shiner hat Riggan auch noch Probleme mit seiner Tochter Sam (Emma Stone), die grad auf Entzug war, und der er einen Job in der Produktion zugeschanzt hat. Sam wird obendrein noch von Shiner angebaggert, und als ob das nicht genug wäre, schaut auch Riggans Ex-Frau gerne mal überraschend vorbei. Von der möglicherweise grad schwangeren Freundin ganz zu schweigen.
Her mit dem Hackebeilchen, Hollywood-Kino kurz und klein zerdengelt. Her mit den echten Schauspielern, die ihren Jobs Ehre machen. Lustvoll gespieltes Bühnentheater. Großartige Kamera. Witzige Dialoge. Ein Hochgenuss.
Wers inzwischen vergessen hat: 11 (ELF) Oscar-Nominierungen, und jede einzelne berechtigt.
Birdman soll abräumen!

Gesehen habe ich auch Boyhood , Gone Girl und Selma. Dazu später mehr.
American Sniper ist thematisch nicht my cup of tea, aber ich werd mal reinschauen und berichten. Vielleicht.
The Grand Budapest Hotel muss ich auch noch sehen. Ob ich Foxcatcher schaffe? Oder „Still Alice“? Time will tell. Time of which theres so little, and films, so many.