George (Colin Firth) ist kein Narr. George ist ein Lehrer. Ein korrekt gekleideter, unauffällig eleganter Herr in diesen dubiosen „besten Jahren“. In seiner Wohnung, an seinem Arbeitsplatz und an ihm selbst herrscht penible Ordnung. George ist weder außerordenlich schön noch besonders hässlich, Gesicht und Frisur sind eben auch korrekt. Das ist das Äußerliche.
Innerlich ist George zerrissen. Er leidet seit nun schon acht Monaten unter dem Verlust seines Lebenspartners Jim (Matthew Goode), der durch einen Autounfall ums Leben kam. Sechzehn Jahre waren sie zusammen. Der Freigeist Jim und der Ruhepol George. Ein schönes, ein harmonisches Paar, wie in den vielen flash-backs gezeigt wird. Überhaupt gibt es sehr, sehr viele flash-backs, was ich ja generell nicht so mag, aber hier passt es schon, denn wie sonst sollte sein derzeitiger Zustand begründet werden? Am drögsten ist ja immer, wenn Protagonisten in langen Dialogen oder, noch schlimmer, Monologen, ihre Vergangenheit ausleuchten.
George leidet also. Er nimmt seine Kollegen nur noch oberflächlich wahr, seine lethargischen Schüler öden ihn an, und die diskreten Annäherungsversuche des Studenten Kenny (Nicholas Hoult) registriert er mit einem müden, geduldigen Lächeln. Er hat keine Freude mehr am Leben, war er doch schon vorher nicht der strahlende Optimist, jetzt hat er erst recht alles satt. „Jim war immer fröhlich beim Aufwachen“, moniert er nachsichtig: „Only fools greet the morning with a smile“.
Seine gute Freundin, Charlotte „Charley“ (Julianne Moore), eine überkandidelte Trinkerin, etwa in seinem Alter, schmeißt sich noch mal ran, um eine seit ewigen Zeiten abgehakte kurze Affaire mit ihm wiederzubeleben. Aber der Ofen ist schon lange aus. Colder than a witches tit. Sie bleibt die Freundin, an deren Schulter er sich in den ersten Stunden des Schocks weinen darf.
Diese Szene, in der George vom Tod seines Geliebten telefonisch informiert wird, setzt den Ton, die Stimmung, für den weiteren Verlauf. Mit der berühmten britischen „stiff upper lip“ hört er die Nachricht, die ihm durchaus feinfühlig übermittelt wird, und bewahrt absolute Contenance. Er fragt die richtigen Fragen, gibt die korrekten Antworten, und erst bei Freundin Charley bricht er zusammen als er ihr weinend in die Arme fällt. Das ist aber auch das einzige äußere Zeichen seiner privaten Hölle. So gefasst, wie er sich darstellt, so überlegt und überlegen, überrascht es mich, dass er diese acht Monate überhaupt überstanden hat.
Aber acht Monate sind genug des Leidens, ohne Jimmy, ohne Freude, ohne einen Grund, für den es sich weiterzuleben lohnte. Er beschließt also, sein Leben zu beenden. Und da er ein ordentlicher Mann ist, plant er das minutiös. Er bringt sein Leben in Ordnung, sortiert Dokumente, die nach seinem Tod benötigt werden, Versicherungspolicen, Abschiedsbriefe, Anzug und Anweisungen für seine Bestattung, ein paar Scheine für die Haushälterin, versteckt im Brotbeutel, den sie gerne im Tiefkühlfach aufhebt.
Dann probt er die Ausführung, a dry run mit Revolver. Das sind komische Szenen, absichtlich von hell-schwarzem Humor angehaucht, und es darf auch etwas erleichtert gelacht werden.
Colin Firth gefällt mir außerordentlich in dieser Rolle. Colin Firth gefällt mir meistens. Tom Ford als Regisseur kann ich nicht einschätzen, es ist sein erster Film. Hier und da bricht die Ästhetik eines Mode-Designers in den farb- und bewegungsschönen Bildern durch. Ich hätte gut auf einigen geschmäcklerischen Schnick-Schnack verzichten können, die mehrfach wiederkehrenden Unterwasserszenen zum Beispiel. Stellenweise ist mir die Szenerie zu glatt, Madison Avenue-mäßig auf hochglanz poliert. Schwarz-weiß und Sepia suggerieren Stimmungen, die Firth gut mimisch und gestisch selbst ausdrückt. Aber es gibt auch geistreiche Dialoge, Situationskomik, schön möbilierte Häuser und edel gekleidete Menschen. kein Film, den man unbedingt gesehen haben muss, aber schaden tuts auch nicht. Schon wegen Colin Firth nicht.
Die Romanvorlage ist von Christopher Isherwood von 1964, die Zeit, in der auch der Film spielt. Eine Zeit, in der es noch klumpige Telefone mit Spiralkabel und Wählscheiben gibt.
Montag, 19. April 2010
Dienstag, 6. April 2010
Das weiße Band
Wenn ich was gut kann, dann ist es mich gruseln. Und die Schauder, die mir über den Rücken liefen, waren nicht wohlig sondern eiskalt.
Ein Kinderfilm, steht unter dem Titel. Das ist insofern irreführend, als er nicht FÜR Kinder ist, obwohl er laut FSK für Zwöfjährige freigegeben ist.
Zwar handelt der Film von Kindern, es wirken viele Kinder mit, das ist aber auch alles. Und sie sind diesmal nicht nur Staffage mit hohem Niedlichkeitsfaktor. Null Niedlichkeitsfaktor. Es sind Kinder, wie wir sie auf alten Fotos unserer Urgroßeltern gesehen haben. Die Mädchen mit knöchellangen Kleidern, Zöpfen und Affenschaukeln, die Jungen mit Hosenträgern und strengen Jöppchen und kurzgeschnittenen Haaren - Fassonschnitt.
Es ist ein Film zum Fürchten. Die Düsterheit der schwarz/weiß Aufnahme unterstreicht das. Manche Personen sehe ich nur als schemenhafte Schattengestalten. Kurze Einblicke, die manche Handlung nur ahnen lassen, und das genügt auch für mehr Schaudern.
Es gibt keine Hauptdarsteller im Sinne von „leading woman“ oder „leading man“, nicht mal „leading child“. Alle Personen sind gleichzeitig Hauptpersonen und Nebenfiguren. Auch die Kinder.
Das Erste, was ganz offenbar wurde, war, dass die Männer ein brutales Regiment führen, die Frauen kuschen, und die Kinder leiden.
Es geschehen unheimliche Dinge, Brutalitäten an Kindern und Erwachsenen. Und ich dachte dann auch sofort – von Tatorten gestählt – aufpassen, wer da von Außerhalb kommt, ein Fremder. Am besten ein unheimlicher Fremder. Aber da kam keiner. Alle waren schon da.
Also aufpassen, wer sich besonders verdächtig machte. Und alle waren schon da.
Die Dinge ereigneten sich kurz vor dem 1. Weltkrieg in dem sehr kleinen, abgelegenen deutschen Dorf Eichwald. Die Hierarchie im Dorf ist klassisch für diese Zeit: der Gutsherr, der Pastor, der Arzt. Alle drei Familienväter mit Kindern, die sich nur durch ihre Kleidung voneinander unterscheiden. Schmale, blonde Kinder. Die Männer sind streng und autoritär. Die Frauen an ihrer Seite unterwerfen sich ihrem Regiment, auch wenn sie manchmal vergeblich versuchen, zu vermitteln.
Besonders die Rigidität des evangelischen Pfarrers (Burghart Klaußner) erschreckte mich. Mir schien, als hätte er die Kinder nicht, weil er sie liebte, sondern weil er dem Gebot der Religion folgte, das die Vermehrung verordnete. Er straft seine Kinder erbarmungslos auch für die kleinsten Vergehen, für dumme Streiche.
Der verwitwete Arzt (Rainer Bock) hat ein Verhältnis mit der Hebamme (Susanne Lothar), die er demütigt und erniedrigt auf eine Art, die mir Tränen in die Augen treibt. Er hat sie satt. Er will sie nicht mehr in einer dunkelen Ecke besteigen. Wie nebenbei, ruhig und kalt sagt er: "Du kommst daher wie das Leiden Christi zu Pferde, du bist häßlich, du bist ungepflegt, du riechst aus dem Mund, ebensogut könnte ich eine Kuh bespringen. Geh, warum stirbst du nicht einfach. Du hast kein Ehrgefühl." Sie antwortet überraschend gefasst: "Neben dir kann man sich das nicht leisten." Sie geht aus dem Haus. Mir bleibt der Kloß im Hals.
Der Gutsverwalter (Josef Bierbichler) in seiner Art ein Patriarch. Und streng natürlich auch. Keine Spur der sonst so betont bierbichlerischen Jovialität.
Die restliche Dorfbevölkerung arbeitet auf den Feldern des Gutsherrn. Die Kinder helfen mit. Und wenn sie grad nicht helfen, spielen sie anderen – Kindern und Erwachsenen – dumme Streiche. Dumme? Böse. Sehr, sehr böse. Und die drakonischen Bestrafungen folgen auf dem Fuß. Der Pfarrer zum Beispiel macht diese Strafen zu einer Art Schaulaufen, wenn die Kinder als äußeres Zeichen ein weißes Band im Haar oder am Ärmel tragen müssen: „Seht her, ein verwerflicher Mensch.“
Ist es die Unterdrückung, die Gnadenlosigkeit der Strafen, die diesem Obrigkeitsdenken Vorschub leistet? Dem bedingungslosen Gehorsam? Der Grausamkeit?
Alles Böse in dieser Welt scheint hier auf die kleinstmögliche Einheit reduziert worden zu sein. Die Familie im abgelegenen Dorf.
Der rührendste Moment ist für mich der, als der kleine Sohn des Pfarrers seinem Vater den Vogel schenkt, den er verletzt gefunden und gesundgepflegt hatte. Einer der unsäglich traurigen die Reaktion des Vaters.
Die Sinnlosigkeit der bösen Taten, die unendliches Leid schaffen, ist offenbar. Die Sinnlosigkeit der Bestrafungen, der rigiden Herrschaftsideologie, wird vorgeführt. Am Ende gehe ich aus dem Film und denke, man kann drauf zeigen, so viel man will. Es wird sich nichts ändern an dem Bösen. Außer der Form.
Ein Kinderfilm, steht unter dem Titel. Das ist insofern irreführend, als er nicht FÜR Kinder ist, obwohl er laut FSK für Zwöfjährige freigegeben ist.
Zwar handelt der Film von Kindern, es wirken viele Kinder mit, das ist aber auch alles. Und sie sind diesmal nicht nur Staffage mit hohem Niedlichkeitsfaktor. Null Niedlichkeitsfaktor. Es sind Kinder, wie wir sie auf alten Fotos unserer Urgroßeltern gesehen haben. Die Mädchen mit knöchellangen Kleidern, Zöpfen und Affenschaukeln, die Jungen mit Hosenträgern und strengen Jöppchen und kurzgeschnittenen Haaren - Fassonschnitt.
Es ist ein Film zum Fürchten. Die Düsterheit der schwarz/weiß Aufnahme unterstreicht das. Manche Personen sehe ich nur als schemenhafte Schattengestalten. Kurze Einblicke, die manche Handlung nur ahnen lassen, und das genügt auch für mehr Schaudern.
Es gibt keine Hauptdarsteller im Sinne von „leading woman“ oder „leading man“, nicht mal „leading child“. Alle Personen sind gleichzeitig Hauptpersonen und Nebenfiguren. Auch die Kinder.
Das Erste, was ganz offenbar wurde, war, dass die Männer ein brutales Regiment führen, die Frauen kuschen, und die Kinder leiden.
Es geschehen unheimliche Dinge, Brutalitäten an Kindern und Erwachsenen. Und ich dachte dann auch sofort – von Tatorten gestählt – aufpassen, wer da von Außerhalb kommt, ein Fremder. Am besten ein unheimlicher Fremder. Aber da kam keiner. Alle waren schon da.
Also aufpassen, wer sich besonders verdächtig machte. Und alle waren schon da.
Die Dinge ereigneten sich kurz vor dem 1. Weltkrieg in dem sehr kleinen, abgelegenen deutschen Dorf Eichwald. Die Hierarchie im Dorf ist klassisch für diese Zeit: der Gutsherr, der Pastor, der Arzt. Alle drei Familienväter mit Kindern, die sich nur durch ihre Kleidung voneinander unterscheiden. Schmale, blonde Kinder. Die Männer sind streng und autoritär. Die Frauen an ihrer Seite unterwerfen sich ihrem Regiment, auch wenn sie manchmal vergeblich versuchen, zu vermitteln.
Besonders die Rigidität des evangelischen Pfarrers (Burghart Klaußner) erschreckte mich. Mir schien, als hätte er die Kinder nicht, weil er sie liebte, sondern weil er dem Gebot der Religion folgte, das die Vermehrung verordnete. Er straft seine Kinder erbarmungslos auch für die kleinsten Vergehen, für dumme Streiche.
Der verwitwete Arzt (Rainer Bock) hat ein Verhältnis mit der Hebamme (Susanne Lothar), die er demütigt und erniedrigt auf eine Art, die mir Tränen in die Augen treibt. Er hat sie satt. Er will sie nicht mehr in einer dunkelen Ecke besteigen. Wie nebenbei, ruhig und kalt sagt er: "Du kommst daher wie das Leiden Christi zu Pferde, du bist häßlich, du bist ungepflegt, du riechst aus dem Mund, ebensogut könnte ich eine Kuh bespringen. Geh, warum stirbst du nicht einfach. Du hast kein Ehrgefühl." Sie antwortet überraschend gefasst: "Neben dir kann man sich das nicht leisten." Sie geht aus dem Haus. Mir bleibt der Kloß im Hals.
Der Gutsverwalter (Josef Bierbichler) in seiner Art ein Patriarch. Und streng natürlich auch. Keine Spur der sonst so betont bierbichlerischen Jovialität.
Die restliche Dorfbevölkerung arbeitet auf den Feldern des Gutsherrn. Die Kinder helfen mit. Und wenn sie grad nicht helfen, spielen sie anderen – Kindern und Erwachsenen – dumme Streiche. Dumme? Böse. Sehr, sehr böse. Und die drakonischen Bestrafungen folgen auf dem Fuß. Der Pfarrer zum Beispiel macht diese Strafen zu einer Art Schaulaufen, wenn die Kinder als äußeres Zeichen ein weißes Band im Haar oder am Ärmel tragen müssen: „Seht her, ein verwerflicher Mensch.“
Ist es die Unterdrückung, die Gnadenlosigkeit der Strafen, die diesem Obrigkeitsdenken Vorschub leistet? Dem bedingungslosen Gehorsam? Der Grausamkeit?
Alles Böse in dieser Welt scheint hier auf die kleinstmögliche Einheit reduziert worden zu sein. Die Familie im abgelegenen Dorf.
Der rührendste Moment ist für mich der, als der kleine Sohn des Pfarrers seinem Vater den Vogel schenkt, den er verletzt gefunden und gesundgepflegt hatte. Einer der unsäglich traurigen die Reaktion des Vaters.
Die Sinnlosigkeit der bösen Taten, die unendliches Leid schaffen, ist offenbar. Die Sinnlosigkeit der Bestrafungen, der rigiden Herrschaftsideologie, wird vorgeführt. Am Ende gehe ich aus dem Film und denke, man kann drauf zeigen, so viel man will. Es wird sich nichts ändern an dem Bösen. Außer der Form.
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