Dienstag, 6. April 2010

Das weiße Band

Wenn ich was gut kann, dann ist es mich gruseln. Und die Schauder, die mir über den Rücken liefen, waren nicht wohlig sondern eiskalt.
Ein Kinderfilm, steht unter dem Titel. Das ist insofern irreführend, als er nicht FÜR Kinder ist, obwohl er laut FSK für Zwöfjährige freigegeben ist.
Zwar handelt der Film von Kindern, es wirken viele Kinder mit, das ist aber auch alles. Und sie sind diesmal nicht nur Staffage mit hohem Niedlichkeitsfaktor. Null Niedlichkeitsfaktor. Es sind Kinder, wie wir sie auf alten Fotos unserer Urgroßeltern gesehen haben. Die Mädchen mit knöchellangen Kleidern, Zöpfen und Affenschaukeln, die Jungen mit Hosenträgern und strengen Jöppchen und kurzgeschnittenen Haaren - Fassonschnitt.
Es ist ein Film zum Fürchten. Die Düsterheit der schwarz/weiß Aufnahme unterstreicht das. Manche Personen sehe ich nur als schemenhafte Schattengestalten. Kurze Einblicke, die manche Handlung nur ahnen lassen, und das genügt auch für mehr Schaudern.
Es gibt keine Hauptdarsteller im Sinne von „leading woman“ oder „leading man“, nicht mal „leading child“. Alle Personen sind gleichzeitig Hauptpersonen und Nebenfiguren. Auch die Kinder.
Das Erste, was ganz offenbar wurde, war, dass die Männer ein brutales Regiment führen, die Frauen kuschen, und die Kinder leiden.
Es geschehen unheimliche Dinge, Brutalitäten an Kindern und Erwachsenen. Und ich dachte dann auch sofort – von Tatorten gestählt – aufpassen, wer da von Außerhalb kommt, ein Fremder. Am besten ein unheimlicher Fremder. Aber da kam keiner. Alle waren schon da.
Also aufpassen, wer sich besonders verdächtig machte. Und alle waren schon da.
Die Dinge ereigneten sich kurz vor dem 1. Weltkrieg in dem sehr kleinen, abgelegenen deutschen Dorf Eichwald. Die Hierarchie im Dorf ist klassisch für diese Zeit: der Gutsherr, der Pastor, der Arzt. Alle drei Familienväter mit Kindern, die sich nur durch ihre Kleidung voneinander unterscheiden. Schmale, blonde Kinder. Die Männer sind streng und autoritär. Die Frauen an ihrer Seite unterwerfen sich ihrem Regiment, auch wenn sie manchmal vergeblich versuchen, zu vermitteln.
Besonders die Rigidität des evangelischen Pfarrers (Burghart Klaußner) erschreckte mich. Mir schien, als hätte er die Kinder nicht, weil er sie liebte, sondern weil er dem Gebot der Religion folgte, das die Vermehrung verordnete. Er straft seine Kinder erbarmungslos auch für die kleinsten Vergehen, für dumme Streiche.
Der verwitwete Arzt (Rainer Bock) hat ein Verhältnis mit der Hebamme (Susanne Lothar), die er demütigt und erniedrigt auf eine Art, die mir Tränen in die Augen treibt. Er hat sie satt. Er will sie nicht mehr in einer dunkelen Ecke besteigen. Wie nebenbei, ruhig und kalt sagt er: "Du kommst daher wie das Leiden Christi zu Pferde, du bist häßlich, du bist ungepflegt, du riechst aus dem Mund, ebensogut könnte ich eine Kuh bespringen. Geh, warum stirbst du nicht einfach. Du hast kein Ehrgefühl." Sie antwortet überraschend gefasst: "Neben dir kann man sich das nicht leisten." Sie geht aus dem Haus. Mir bleibt der Kloß im Hals.
Der Gutsverwalter (Josef Bierbichler) in seiner Art ein Patriarch. Und streng natürlich auch. Keine Spur der sonst so betont bierbichlerischen Jovialität.
Die restliche Dorfbevölkerung arbeitet auf den Feldern des Gutsherrn. Die Kinder helfen mit. Und wenn sie grad nicht helfen, spielen sie anderen – Kindern und Erwachsenen – dumme Streiche. Dumme? Böse. Sehr, sehr böse. Und die drakonischen Bestrafungen folgen auf dem Fuß. Der Pfarrer zum Beispiel macht diese Strafen zu einer Art Schaulaufen, wenn die Kinder als äußeres Zeichen ein weißes Band im Haar oder am Ärmel tragen müssen: „Seht her, ein verwerflicher Mensch.“
Ist es die Unterdrückung, die Gnadenlosigkeit der Strafen, die diesem Obrigkeitsdenken Vorschub leistet? Dem bedingungslosen Gehorsam? Der Grausamkeit?
Alles Böse in dieser Welt scheint hier auf die kleinstmögliche Einheit reduziert worden zu sein. Die Familie im abgelegenen Dorf.
Der rührendste Moment ist für mich der, als der kleine Sohn des Pfarrers seinem Vater den Vogel schenkt, den er verletzt gefunden und gesundgepflegt hatte. Einer der unsäglich traurigen die Reaktion des Vaters.
Die Sinnlosigkeit der bösen Taten, die unendliches Leid schaffen, ist offenbar. Die Sinnlosigkeit der Bestrafungen, der rigiden Herrschaftsideologie, wird vorgeführt. Am Ende gehe ich aus dem Film und denke, man kann drauf zeigen, so viel man will. Es wird sich nichts ändern an dem Bösen. Außer der Form.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen