Donnerstag, 14. Oktober 2010

Körperteile

Eines meiner Lieblingsthemen in den letzten Jahren ist die Entsorgung sterblicher Überreste. Hauptsächlich meiner. Über andere habe ich ja nicht zu entscheiden. Aber selbst wenn ich da gewisse Vorkehrung treffe und die per Patientenverfügung für die Nachwelt hinterlasse – eine Garantie, dass es so gemacht werden wird, gibt es nicht.
Das liegt vor allem an den Bedenkenträgern, den Ethikern, den Klerikern, den Juristen. Und auch an Oma Krause und Tante Käte, die son Schweinkram von vorne herein ablehnen. Besonders, wenn es sich um meine Oma Krause und Tante Käte handelt. Das ist hypothetisch jetzt. Oma und Tante weilen nicht mehr unter den Lebenden, aber ich weiß, dass sie strikt gegen solche „Abartigkeit“ waren.
Die Bedenken kann auch ich nicht so einfach vom Tisch zu wischen, denn wer möchte schon auf einer Metallplatte wach werden und feststellen, dass plötzlich lebensnotwendige Sachen fehlen. Die Augen, die Lungen oder gar das Herz. Gut, in dem Falle würde man nicht mehr aufwachen. Aber ohne die anderen Innereien könnte man erst mal wieder wach werden.
Was für ein Horrorszenario: Die Ärzte könnten sich geirrt haben. Ein überarbeiteter Notarzt zum Beispiel, der schon seit 20 Stunden Dienst schiebt, erklärt dich für tot, die Dokumente sind ausgefüllt. Du bist amtlich mausetot. Du hast einen Organspenderausweis. Du standest zur Zeit deines Ablebens voll im Saft. Alle Organe funktionierten. Und als du den Organspenderausweis unterschrieben hast, dachtest du doch nie im Leben daran, dass man dich so bald deiner Ersatzteile erleichtern würde.
Da liegst du also dann auf dem Tisch. Die Nieren sind weg. Für den Rest hatte man noch keine Zeit. Aber die Nieren sitzen schon in einem anderen Körper. Was nun? Dem anderen kann man sie schlecht wieder wegnehmen. Also kommst du an Schläuche. Und das ist doch genau das, was du nie wolltest. Deshalb hattest du eine umfangreiche Patientenverfügung unterschrieben. Und was dann? Wartest du auf neue Nieren, für die dann auch erst wieder einer sterben muß. Und hoffentlich sind es dann auch frische Nieren, und nicht alte Schrumpelnieren von einem Seniorenheimbewohner.
Das geht doch nicht?
Und wie das geht. Es gibt nämlich keine Altersbegrenzung im Organspendenwesen. Die Ärzte sprechen Empfehlungen aus, wenn sie den Patienten beim Ausfüllen der Papiere helfen. Beziehungsweise, raten gleich davon ab, wenn der Gesamtzustand des Spenders schon fortgeschrittenen Verfall der inneren Organe andeutet. Hilft ja keinem, wenn da einer seine verfettete Leber oder seine verquarzten Lungen spenden will. Außer Augen. Augen gehen immer, auch von ganz alten Greisen. Vorausgesetzt, sie sind nicht vom grünen Star befallen oder blind. Die Innenohrknöchelchen von betagten Menschen sind auch noch verwertbar. Immer vorausgesetzt, sie funktionieren noch, anders wär ja blöd.
All die anderen Sachen: Herz, Lunge, Leber, Nieren von Menschen weit über 70 sind einfach nicht mehr verwertbar. Auch die Gebärmütter von Fifty-Somethings scheiden aus. Da ist das Verwertbarkeitsdatum deutlich überschritten.
Eine allgemeingültige Grenze nach oben gibt es offiziell nicht. Hier endlich findet die Volksweisheit : “Man ist so alt wie man sich fühlt“ mal die passende und würdige Anwendung. Und die Ärzte bestätigen: das biologische Alter spielt eine wichtige Rolle. Nur weil ein Mensch 70 ist, muss das nicht bedeuten, dass seine Organe nicht mehr verwertbar sind. Und wenn es auch nur für kurze Zeit ist, eine Übergangslösung, bis für den Empfänger ein jüngeres, besseres Ersatzeil zur Verfügung steht.
Außerdem werden inzwischen nicht nur die üblichen Verdächtigen, also Herz, Lunge, Leber und Nieren transplantiert, sondern auch Darmstrecken, Milzen, Hände, Füße und ganze Gesichter. Augen und Ohrteile erwähnte ich schon. Im Grunde könnte man ganze Menschen verpflanzen. Im Umkehrschluss hieße das doch auch, dass man dem alten Menschen alle paar Jahre ein paar frische Organe einpflanzen könnte, und schwupps, der Opa könnte glatt seine Enkel überleben. Oder er ist ein bedeutender Künstler, Autor, Forscher oder sonst was ganz Wichtiges und sollte der Menschheit erhalten bleiben. Müsste doch gehen. Wo man inzwischen Menschen einfrieren kann. Das ewige Leben - alles für die Forschung.
Ob Christian Barnard überrascht war von der Entwicklung der Transplantation, nachdem er 1967 das erste Herz verpflanzte? Der Empfänger lebte dann nur 18 Tage, aber allein, dass er überhaupt überlebte, war doch ein Wunder. Diesem Thema werde ich gesondert nachgehen.
Ich jedenfalls habe trotz der einen oder anderen Bedenken einen Organspenderausweis. Aber im Notfall könnte ich den auch vorher noch ganz schnell aufessen.

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