Mittwoch, 8. Dezember 2010

There's just no point hating someone you love.

Nowhere Boy
Da fang ich gleich mal mit einem „eigentlich“ an, nämlich dem, dass ich BioPics nicht so sehr mag. Und nun hab ich mich überrascht, denn ich mag diesen Film.
Vielleicht liegt es daran, dass hier eine Geschichte erzählt wird, die nicht die Karriere des Musikers John Lennon zum Thema hat, sondern einige Jahre seiner Jugend. Es hätte ein Lebensabschnitt von irgendeinem, unberühmt und unrühmlich lebenden Jungen sein können. Und es ist ein Film, bei dem ich mitten drin saß im bürgerlichen Wohnzimmer mit Leuten, wie ich sie auch kannte. Wie sie bestimmt jeder kennt.
Der junge John lebt bei Tante Mimi und Onkel George. Mimi ist fürsorglich aber sehr unterkühlt, was bei Kristin Scott Thomas irgendwie immer ganz von selbst kommt. Mit George versteht John sich prima, Mimi nervt ihn. Als Onkel George ganz plötzlich tot umfällt, ist John am Boden zerstört, er ist verletzlich, verunsichert. Mitten rein in diese Seelenpein erfährt er unvermittelt, dass seine Mutter Julia – Mimis Schwester - die ganzen Jahre nur ein paar Straßen weiter gewohnt hat. Da hat sie eine neuen Mann und zwei neue Kinder: Julia und Jackie, Johns Halbschwestern. John ist überwältigt von dieser Konstellation, aber auch bitter, weil die Mutter so nah wohnte und ihn offenbar nicht wollte, weggeben hatte, als er ein kleiner Junge war. Aber Mutter Julia freut sich wie Bolle. Endlich hat John zu ihr gefunden. Ihre Freude äußert sich auf eine merkwürdige und nicht unbedingt mütterlich scheinende Art. Sie kennen sich nicht und verhalten sich augenscheinlich mehr wie ein Liebespaar als wie Mutter und Sohn. Sie flirtet ihn an, bezirzt ihn, tanzt ihn an. Sie singt für ihn, aber sie bringt ihm auch das Banjospielen bei. Sie nimmt ihn mit zu Rock ’n Roll-Konzerten, er ist begeistert von der neuen Musik, und als er im Kino Elvis Presley sieht, weiß er, welche Musik er machen will. Er gründet eine kleine Band mit Schulkameraden, die ebenso wie er lieber die Schule schwänzen. Sie tingeln durch die angesagten Clubs ihrer Heimatstadt Liverpool. Paul McCartney war dazu gekommen, später George Harrison. In dieser Zeit kommt es zuhause zur Eskalation. Von seiner Mutter Julia will er endlich die Wahrheit über seinen Vater wissen, und warum er als Fünfjähriger bei Mimi landete, von der sie behauptet, sie habe ihr John „gestohlen“. In einer dramatischen Szene offenbaren sich die Hintergründe.
Das ist einer der berührenden Teile des Films. Die Aussprache der beiden Frauen, Johns Erkenntnis und die fast friedliche Akzeptanz. Befreit, öffnet sich Mimi und zeigt eine liebevolle, fürsorglich mütterliche Seite. Als hätte dieses show down ihre und auch Johns Zerrissenheit befriedet.
Der andere Moment, nein, es waren eigentlich drei, die in Sekundenschnelle aufeinander folgten und mir spontan die Tränen in die Augen trieben, waren Julias Unfall, die Trauerfeier, Johns kurzer Ausraster, und einer Umarmung von Paul.
Es ist kein Film über die frühen Jahre der Beatles. Paul und George scheinen quasi zufällig mit John zusammenzukommen. So, wie man sich eben zufällig in einer Schule trifft. So, wie hunderte von kleinen Bands entstehen. Es ist zufällig ein kurzer Ausschnitt über John Lennons Jugend. Eine turbulente und emotional geladene Zeit, die ihn geprägt hat. So, wie wir alle von bestimmten Perioden in unseren Leben geprägt werden. Es ist ein Film über einen pubertierenden Jungen: traurig, euphorisch, unglücklich, kämpferisch. Seine Erlebnisse und Stimmungen finden sich in seiner Musik und seinen Texten wieder. Aber wer weiß, hätte er eine glückliche, behütete Kindheit bei seiner Mutter gehabt, wäre er dann der Beatle John Lennon geworden?
Mir hat der Film gefallen. Ein kleines Familiendrama.
Ohne Melodrama.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen